Zugreisen im Kopf

Dass wir gerne mit dem Zug reisen, ist allseits bekannt. Und dass wir einigermaßen verrückt sind, ist auch nichts Neues. Soeben haben wir jedoch erkannt: da geht noch mehr! Wir verbringen die langen Winterabende daheim gerade mit der Lektüre von Reiseliteratur, genauer gesagt mit zwei Büchern übers Zugreisen: Monisha Rajesh nimmt uns mit auf ihre Weltreise per Zug und Jaroslav Rudiš singt seine Ode ans Zugfahren in Europa.

Der tschechische Schriftsteller bezeichnet sich selbst als „Eisenbahnmensch“ und seine Leidenschaft für alles, was eben mit der Eisenbahn zu tun hat, als verrückt. In dieser Gebrauchsanweisung fürs Zugreisen berichtet er nicht nur über die schönsten Bahnstrecken Europas, in welchen Speisewagen noch frisch gekocht wird, in welchen Bahnhofskneipen es das beste Bier bzw. in welchen Bars es den besten Café gibt, und welche Bahnhöfe Kathedralen gleich kommen. Frau erfährt auch viel Wissenswertes über die Geschichte der Eisenbahn, die Logistik und die Technik, die im Hintergrund für einen reibungslosen Ablauf sorgen. Und er erzählt von den Menschen, die bei der Bahn arbeiten und für ihren Beruf brennen. Jaroslav Rudiš wollte selbst Eisenbahner werden, wurde dann aber Schriftsteller, wofür wir ihm sehr dankbar sind, denn bei den Beschreibungen seiner Zugreisen etwa von Palermo nach Lappland oder von der Schweiz nach Italien über die alte Gotthardstrecke möchten wir sofort in den nächsten Zug steigen und die Landschaften Europas am Fenster vorbeiziehen lassen. Aber die Reise im Kopf ist schon mal ein guter Anfang!

In 80 Zügen um die Welt ist mehr als ein Reisebericht und viel mehr als eine Abenteuergeschichte, auch wenn die 7monatige Tour alles bietet, was dafür nötig wäre. Aber die zum Teil sehr persönlichen Beobachtungen und Gedanken sowie die fundierten Recherchen verleihen diesem Buch genau das, was eine Weltreise ausmacht: das Erleben von Weite. Aus dem Zugfenster in die Weite der Steppen in der Mongolei oder in Kasachstan, in die Wälder Kanadas und die Unendlichkeit Tibets zu blicken, offen zu sein für die Geschmäcker der Küchen dieser Welt und für unzählige Begegnungen. Die Begegnungen und Gespräche in den Speisewagen oder Nachtzügen dieser Welt, die Kontakte zu Mitreisenden werden erzählt aus der Perspektive einer jungen, indischstämmigen Frau aus London. Eigentlich wollte sie diese Reise alleine machen, doch kurz bevor sie den ersten Zug bestieg, entschloss sich ihr Verlobter, sie nicht nur ein kleines Stück, sondern vom Anfang bis zum Ende zu begleiten. Keine Frage, alleine zu reisen ist für Frauen auch heute noch ein Wagnis. Und ja, es macht einen Unterschied, ob eine Einzelperson mit genauer dieser Hautfarbe, ein junges Heteropaar oder vielleicht ein Frauenpaar in ihren 50ern unterwegs ist. Aber gerade davon erzählt dieses Buches: jede Reise ist einmalig, jedes Land und jeder Mensch wird bei der nächsten Begegnung verändert sein. Und genau das macht dieses Reisebuch so spannend – es ist eine Momentaufnahme und zugleich eine Hommage an das Reisen mit der Eisenbahn!

Auch wir können bestätigen: Beim Reisen mit dem Zug gibt es unerwartete Momente und immer etwas zu erzählen. Erst kürzlich waren wir auf unserer Stammstrecke (ja, nicht nur Jaroslav Rudiš hat eine solche!) von Berlin nach Graz unterwegs und hatten ein ganz besonderes Eisenbahnerlebnis. Der Zug wurde aus Hamburg kommend fehlgeleitet und ist nicht am Bahnsteig Berlin Tief eingefahren, sondern oben auf der Berliner Ringbahn. Beim Eisenbahnspielen als Kinder hätten wir den Zug genommen und auf sein richtiges Gleis gestellt. Im wirklichen Leben meldete sich eine äußerst freundliche und hörbar verzweifelte Zugbegleiterin, die uns mitteilte, dass dieses Missgeschick uns nun eine unerwartete, einstündige (!) Berlinrundfahrt bescheren wird. Und schon ging es los – vorbei an der Museumsinsel und dem Fernsehturm zogen wir eine große Schleife weit in den Osten, plötzlich tauchte der Fernsehturm im gegenüberliegenden Zugfenster auf, wir fuhren durch uns unbekannte Stadtteile gen Norden und gelangten über den Bahnhof Gesundbrunnen genau auf jenen Bahnsteig, auf dem wir ursprünglich den Zug erwartet hatten. 33 Minuten dieser Verspätung hatten wir vor dem nächsten Stopp schon aufgeholt, den Rest nahmen wir mit bis Wien, wo das Umsteigen zum Nervenkitzel wurde. Nachdem wir den Anschluss buchstäblich auf die Sekunde genau erwischt hatten, nahmen wir im Speisewagen Platz, bestellten ein Bier und stießen an auf das verrückte Leben – und die Eisenbahn!

Andrea und Sigrid

Buchtipps:
Gebrauchsanweisung fürs Zugreisen,
Jaroslav Rudiš, Piper Verlag
In 80 Zügen um die Welt,
Monisha Rajesh, Edel Books

2 Kommentare zu „Zugreisen im Kopf“

  1. Eisenbahnverrücktheit kann ich gut verstehen. Weitere Buchtipps für Euch: Paul Theroux; The great Railway Bazaar und die Bücher von Devla Murphy, die mit Fahrrad und Transsib unterwegs war. Dazu die websites: http://www.seat61.com und http://www.thetrainline.com. Beste Buchungshilfen. Die oberösterreichische Reiseagentur Weltanschauen bevorzugt auch die Bahn als Transportmittel. Wünsche Euch viele gute Verbindungen ! Liebe Grüße von Susanne

    1. Danke, liebe Susanne, für die Tipps! Das ist ja eine feine Sache, wenn hier die Ideen auf Schiene kommen und weitergereicht werden … Liebe Grüße, Andrea und Sigrid

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