Milonga …

… ein klingender Name für alle, die sich vom Tango angezogen fühlen. Ein Name mit zwei Bedeutungen: einerseits meint er eine bestimmte Musikrichtung im Tango (eine beschwingtere, fröhlichere Variante im 2/4-Takt) und andererseits die Tanzveranstaltung für TangotänzerInnen.

Es dauerte ein paar Momente, bis sich ihre Augen an die spärliche Beleuchtung gewöhnt hatten. Das Lokal war nicht sehr groß und hoffnungslos überfüllt. Zwei Reihen Tische und Stühle grenzten die quadratische Tanzfläche nach allen Seiten hin ab. Die eng umschlungenen Paare dort waren so dicht gedrängt, dass sie mehr standen als sich bewegten. Die Luft war stickig, die Musik laut … Die Pausenmelodie erklang, dann setzte die Musik aus. Die Tanzfläche leerte sich … Die Tanzfläche war noch immer leer, Gläser klirrten, Stimmengewirr erfüllte den Raum. Noch immer kamen neue Gäste durch die Eingangstür herein. Dann erklang die Stimme des Discjockeys aus den Lautsprechern, und fast zeitgleich setzte die Musik ein … Sie beobachtete die Tanzpaare. Die meisten Frauen hatten die Augen geschlossen und hingen wie schlafend an der Brust ihrer Tanzpartner. Deren Gesichtsausdruck verriet indessen äußerste Konzentration, da sie sich einen Weg durch das Gewimmel suchen mussten, ohne die kostbare Fracht in ihren Armen irgendwo anzustoßen … Die Tanzfläche war jetzt so voll gepackt wie ein Stadtbus am Feierabend. Wie machten die das bloß, auf solch engem Raum zu tanzen?

Diese Beschreibung einer Milonga in Buenos Aires stammt aus dem Roman Drei Minuten mit der Wirklichkeit von Wolfram Fleischhauer. Er beschreibt sozusagen das „Original“, denn mittlerweile kann man auf der ganzen Welt Milongas besuchen, in unterschiedlichsten Lokalitäten von Schlosssälen bis zu Kellerkneipen.

Wir waren am vergangenen Samstag auf einer von Tango GRAZioso veranstalteten Milonga in der Nähe von Graz. Als wir um ca. 22.00 Uhr eintrafen, wurde bereits getanzt. Auch bei uns in Europa orientiert man sich bei den Beginnzeiten an den Buenos Aires-Zeiten. Dort braucht man allerdings vor 23.00 Uhr nicht da sein, denn richtig los geht es eigentlich ab Mitternacht. Hier in Graz gab es ab 22.00 Uhr Livemusik. Das Tango-Orchester Graz spielte wieder einmal auf. Wir sind große Fans dieses Orchesters, denn ihr Spiel ist nicht nur ein Hörgenuss, sondern man kann auch wunderbar dazu tanzen, und so war die Tanzfläche bald ähnlich voll wie oben beschrieben. An diesem Abend spielten sie für uns fünf tandas. Tandas – was ist das? Man könnte sagen, es ist die Struktur einer Milonga. Gemeint sind damit die Musikabschnitte. Eine tanda besteht aus drei oder vier Tangos. Dann folgt die sogenannte cortina, dabei wird nicht Tangomusik, sondern irgendeine andere Musik gespielt. Währenddessen leert sich die Tanzfläche, die Tanzpaare trennen sich, um sich für die nächste tanda neu zu mischen.

Traditionelle Milongas laufen nach bestimmten Ritualen ab. Das beginnt schon bei der Aufforderung zum Tanzen. Dies geschieht nämlich über Blickkontakte. Wenn ein Mann, meist sind es die Männer, die auffordern, mit einer bestimmten Frau tanzen möchte, blickt er sie an, selbst wenn sie sich am anderen Ende des Saales befindet. Wenn die Frau es bemerkt und den Blick erwidert, nimmt sie die Aufforderung an. Die beiden treffen sich auf der Tanzfläche und beginnen zu tanzen. Es ist eine sehr subtile Art der Aufforderung und erspart den Männern die peinliche Situation, sich einen Korb zu holen. Zugleich ermöglicht sie den Frauen, eine Aufforderung diskret abzulehnen, indem sie den Blick abwenden. Überhaupt dienen diese bestimmte Struktur einer Milonga und die Rituale dazu, Peinlichkeiten zu vermeiden. So ist es eine feste Regel, eine ganze tanda mit dem- bzw. derselben TanzpartnerIn zu tanzen. Man muss jedoch nicht gleich zu Beginn einer tanda auffordern, sondern kann das z.B. erst ab dem zweiten oder dritten Tango tun, wenn man mit jemandem noch nie getanzt hat. Am Ende der tanda, während die cortina gespielt wird, trennt man sich auf jeden Fall. So kann man ohne peinliche Erklärung wieder zu tanzen aufhören. „Ohne Rituale kann es keine Begegnung von Fremden geben“, sagt eine der Protagonistinnen im Roman von Wolfram Fleischhauer. Auch wenn es anfangs etwas umständlich und sonderbar wirkt, sie haben einen Sinn, diese Rituale, und mit der Zeit üben sie eine besondere Faszination aus.

Als auf der Milonga am Samstag der letzte live gespielte Tango der letzten tanda verklungen war, war die Begeisterung groß und frenetischer Applaus entlockte den MusikerInnen noch eine Zugabe. Wir wollten alle nicht aufhören zu tanzen …

Andrea

 

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