Eine Reise in die Vergangenheit …

Wir sind nicht auf direktem Weg zurück nach Österreich gefahren, sondern haben noch einen Abstecher nach Umbrien gemacht, um dort das Hotel Castello Monticelli und seine Besitzerin kennen zu lernen, weil wir dort demnächst einen Tangoworkshop geben werden. Da auf der Autobahn rund um Florenz meist extrem viel Verkehr ist, haben wir uns entschlossen, diesen Bereich zu meiden und stattdessen 250 km quer durch die Toskana – vom Nordwesten am Tyrrhenischen Meer bis in den Südosten nahe dem Lago Trasimeno – auf Bundes- und Schnellstraßen zu fahren. Und bald schon war klar, dies wird für uns eine Reise in die Vergangenheit!

An den Bildern in den letzten Blogartikeln war schon zu erkennen, dass es an der Costa Versilia nicht so ausgesehen hat, wie man die Toskana üblicherweise kennt. Bald nachdem wir an Lucca vorbeigefahren sind, wurde die Landschaft „typisch toskanisch“: sanfte, grüne Hügel mit Oliven- und Weingärten, Zypressenallen hinauf zu einem kleinen Dorf oder einem herrschaftlichen Anwesen. Die Straße im Tal verlief kilometerlang durch Pinien- oder Platanenalleen. Der Anblick war mir sofort wieder vertraut, obwohl wir viele Jahre nicht hier gewesen sind. In den späten 1990ern sind wir mehrmals im Jahr – oft nur für ein verlängertes Wochenende – in die Toskana gefahren. Damals wurden wir immer wieder gefragt, warum wir so oft dorthin fahren und wir haben gescherzt und geantwortet, es sei ja wohl klar, dass man mehrmals im Jahr nach Hause fährt … Nun waren wir schon fast zehn Jahre lang nicht mehr in der Toskana, und dennoch hatte ich sofort dieses vertraute Gefühl, angekommen zu sein in meinem Sehnsuchtsland.

dscf5830Die Frage, wo wir an diesem Reisetag Mittagsrast halten, war schnell beantwortet, denn diese Diagonale durch die Toskana führte an Siena vorbei – und Siena war immer „unsere“ Stadt! Florenz, Pisa, Lucca … sind wunderschön, aber wir hatten uns in Siena zu Hause gefühlt. Die letzten Kilometer auf der Schnellstraße weckten die Erinnerung an die unzähligen Male, wenn wir angereist sind und nach 7 Stunden Fahrt fast am Ziel waren. Diesmal sind wir mit dem Auto recht weit ins Zentrum gefahren und direkt in die Altstadt gebummelt. Es war ein unbeschreibliches Glücksgefühl, in jenen Gässchen, vorbei an den Palazzi und den kleinen Plätzen, zu spazieren, die so vertraut sind. Trotz der vielen Jahre hat sich kaum etwas verändert. Inmitten unzähliger TouristInnen und den Sienesen auf dem Weg in die Mittagspause sind wir dem großen Platz, der uns wie all die Jahre zuvor magisch angezogen hat, entgegen gestrebt, bis wir endlich dort angekommen sind: Il Campo, übersetzt eigentlich „das Feld“, für mich der schönste Platz der Welt! Wir sind hinausgetreten aus den schmalen Gassen in diesen muschelförmigen Halbkreis aus ziegelroten Häusern und dem Rathaus mit seinem eleganten Turm. Und wieder erfasste mich dieses beinah überwältigende Gefühl, angekommen zu sein am Mittelpunkt der Welt. Diese Harmonie der Gebäude, alle in den rotbraunen Farben der Erde rund um Siena, die Weite des Platzes, die zugleich Offenheit und Geborgenheit vermittelt. Ein unbeschreiblicher Augenblick! Nur der Hunger konnte uns dazu bringen, den Platz zu verlassen und den Spaziergang durch die Altstadt fortzusetzen, eine Bäckerei, in der wir früher gerne waren, zu suchen und freudig festzustellen, dass es sie noch gibt. Gestärkt sind wir dann nochmals auf den Campo zurückgekehrt, um ihn zu umrunden bevor wir zum Abschluss unseres Kurzbesuches im Cafe Nannini einen Espresso getrunken und, damit das Glücksgefühl ein wenig konserviert werden kann, typische Süßigkeiten aus Siena gekauft haben. Nach zwei Stunden sind wir schon wieder im Auto gesessen, einige Zeit lang sind wir schweigend weitergefahren, denn wir waren beide in Gedanken noch in „unserer“ Stadt …

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Doch die Reise in die Vergangenheit war noch nicht zu Ende! Der nächste Streckenabschnitt führte entlang der „Crete“, jenem wüstenartigen Landstrich südöstlich von Siena, in dem die Getreidefelder im Spätsommer fast weiß wie Sand sind und es beinah unmöglich erscheint, dass hier etwas wachsen kann. In unzähligen Spazierfahrten haben wir früher diese magische Landschaft erkundet und sogar davon geträumt, in einem der Bauernhäuser, die dort auf den Hügeln thronen, zu leben. Nach einiger Zeit veränderte sich die Landschaft wieder, es wurde wieder grün und „typisch toskanisch“, bis wir nahe der Grenze zu Umbrien und somit nicht mehr weit entfernt vom Lago Trasimeno waren. In der Nähe des Sees haben wir vor 16 Jahren einige Monate lang gelebt und so war dieser Anblick wieder mit vielen Erinnerungen und intensiven Gefühlen verbunden.

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Im Licht der Abendsonne wirkte er wie verzaubert, der Wirklichkeit entrückt, und das passte irgendwie zu diesem ungewöhnlichen Tag! Die Hügel rund um den See mit ihren Olivengärten und den kleinen Dörfern, die wir damals auf unseren alltäglichen Wegen entlang gefahren sind, leuchteten in diesem Licht. Wir mussten einfach stehenbleiben und aussteigen und wie damals einfach den Blick schweifen lassen und diese Bilder in uns aufsaugen.

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Und seltsam, wieder spürte ich dieses Glück und diese Dankbarkeit, jetzt hier sein zu können, jedoch keine Wehmut. Ich wurde erinnert an jene Zeit, aber ich war nicht traurig, dass sie so lange zurückliegt oder dass ich so lange nicht dort war, sondern ich konnte diesen Augenblick völlig genießen! Aber das liegt vielleicht auch daran, dass ich weiß, dass es nun nicht mehr so viele Jahre dauern wird, bis wir wieder dort sein werden! Der Tango war der Grund für diese Reise in die Vergangenheit und unsere Arbeit wird uns in den nächsten Monaten mehrmals in unser altes Sehnsuchtsland führen. Welche ein Geschenk!

Sigrid

 

4 Kommentare zu „Eine Reise in die Vergangenheit …“

  1. Martina Teller-Pichler

    Da bekam ich jetzt wirklich Gänsehaut. Ei deinem Artikel. Bilder aus vergangenen Zeiten wurden sofort lebendig und alleine der Gedanke an den Campo in Siena…. Am liebsten würde ich gleich losfahren. Das war z. B. Der erste Urlaub gemeinsam mit Siegi und den Kindern. Und obwohl die 2 Damen damals noch recht klein waren haben sie diese toskanischen Städte so gerne mit uns erkundet. Vielen Dank für eure wunderbaren Berichte! Alles liebe! Martina

    Von meinem iPhone gesendet

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