Olivenernte in der Maremma

Junges, frisch gepresstes Olivenöl auf einer Scheibe geröstetem italienischem Weißbrot mit ein wenig Salz – ein purer Genuss im wahrsten Sinne des Wortes, denn durch die Einfachheit kommt der Geschmack so richtig zur Geltung. Wenn das Öl im Herbst ganz frisch gepresst ist, dann ist es ein wenig rau und kantig, die Bitterstoffe sind noch enthalten und je nach Olivensorte mal stärker, mal weniger stark. Das erste Mal hatten wir diesen Genuss bei einem Festa dell’olio im November 2000 in Umbrien, Olivenmühlen öffneten ihre Türen und das Verkosten des neuen Öles war selbstverständlich. Seit damals werden diese Bilder und dieses Geschmackserlebnis immer wieder lebendig, wenn wir durch Olivengärten spazieren, bestes Olivenöl genießen oder einfach nur an den Herbst in Umbrien und der Toskana denken. Ende Oktober des vorletzten Jahres haben uns dann zwei Kursteilnehmerinnen in Wien einen der typischen grünen Kanister mit folgenden Worten überreicht: Wir sind gerade aus der Toskana zurückgekommen, von unserem Haus in der Maremma. Dieses frisch gepresste Öl stammt von den Bäumen in unserem Garten – genießt es und vielleicht habt ihr ja Lust, nächstes Jahr bei unserer Olivenernte dabei zu uns! Zwei Sätze, die eine Flut an Erinnerungen und eine Welle der Sehnsucht weckten! Im Jahr darauf konnten wir im Oktober nicht verreisen, aber für heuer hatten wir die Olivenernte gleich am Beginn des Jahres in den Kalender eingetragen.

Das Haus der beiden Frauen diente früher der Landwirtschaft und liegt inmitten der fruchtbaren Ebene der Maremma, mit Blick auf die Hügel und nur wenige Kilometer vom Meer entfernt. Es wurde zu einem äußerst netten, kleinen Ferienhaus umgestaltet, umgeben von einem Garten mit Kakteen, Granatapfel- und Olivenbäumen. In ihren „Hausgärten“ haben die Menschen hier immer auch Olivenbäume gepflanzt und die Ernte versorgt sie mit dem Öl, das sie ein Jahr lang selbst verwenden. Auch die beiden Frauen machen es so und werden dabei – wie das in Italien so üblich ist – von Nachbarn und Freunden und Freundinnen unterstützt und diesmal waren wir als zusätzliche Helferinnen dabei.

Wie also geht so eine Olivenernte vor sich? Erst einmal begrüßen alle einander, plaudern über dies und das und besprechen lange und ausgiebig, in welchem Teil des Gartens mit der Ernte begonnen werden soll, wie die Aufgaben verteilt werden und so weiter und so fort. Auch das ist üblich in Italien und wir hatten unsere Freude daran, wieder einmal einzutauchen in diese Konversation, die mit ihrem Singsang an Opernarien erinnert. Der erste Arbeitsschritt ist dann das Auslegen der Netze unter den Bäumen. Früher wurden die Bäume per Hand geschüttelt, damit die reifen Früchte auf die Netze fallen, heute wird dafür ein elektrischer Rüttler an einer langen Stange verwendet, der möglichst behutsam geführt wird, damit die Äste nicht verletzt werden.

Wenn die Oliven in den Netzen liegen, werden diese hochgehoben, um die Früchte in kleinen Häufchen zu sammeln und dann kommt jener Teil der Arbeit, der für mich der schönste war: mit den bloßen Händen werden Blätter, kleine Äste oder Zweige aussortiert. Es ist beinahe sinnlich, die Finger durch die leicht öligen Früchte gleiten zu lassen, mal kleinere, mal größere Oliven in allen Farbabstufungen von grün bis violett in der Hand zu haben. In so einem privaten Olivengarten – zum Unterschied zu großen Olivenhainen – gibt es viele verschiedene Sorten und gerade diese Mischung macht die Qualität des Öles aus, weil jede Sorte andere Geschmacksnoten beisteuert. Nach dem händischen Verlesen gleiten die Oliven behutsam in Kisten oder Säcke und warten auf den Transport in die Ölmühle.

Die Arbeit ist anstrengend und erfordert Konzentration: beim Auslegen der großen und recht schweren Netze braucht es Kraft, Genauigkeit ist dabei auch erforderlich, damit keine Lücken entstehen und keine Oliven auf der Wiese landen. Beim Verlesen wiederum ist das Hocken oder Knien am Boden anstrengend und es braucht Aufmerksamkeit, damit die Früchte möglichst rein und ohne Blätter oder Äste zur Verarbeitung gebracht werden.

Gerade in Italien ist es daher selbstverständlich, zur Mittagszeit eine Pause zu machen, bei der wir uns um den Tisch auf der Terrasse versammelten und mit einer kräftigen Suppe aus Bohnen, Wurzelgemüse und Pasta sowie mit Schinken und Käse stärkten. Müde und erschöpft haben wir uns am Ende des Tages wieder an ebendiesem Tisch eingefunden, nochmals von der Jause gegessen und mit einem Glas Wein auf den erfolgreichen Tag angestoßen. Denn es war in diesem Jahr eine besonders reiche Ernte: 380 kg Oliven haben wir zu siebent an diesem Tag geerntet!

Der Genuss von bestem Olivenöl wird für uns nunmehr von weiteren Erinnerungen und farbenfrohen Bildern begleitet werden: von der stiefstehenden Herbstsonne, den leuchtend roten Granatäpfeln, den samtig weichen, grün-violetten Früchten und von den Gesprächen in dieser wunderbaren Sprache, dem Lachen und dem feinen Miteinander bei dieser Olivenernte. Was für eine Rolle spielt da schon ein kleiner Muskelkater am Tag nach der Ernte – der ist schnell vorbeigegangen, alles andere aber bleibt!    

Sigrid

2 Kommentare zu „Olivenernte in der Maremma“

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