Siena, alte Liebe

Nun sind wir wieder einmal hier, seit sehr langer Zeit und haben sie wachgeküsst, die alte Liebe. In den 1990er Jahren waren wir mindestens einmal im Jahr in Siena und es war jedes Mal ein bisschen wie heimkommen. Dazwischen gab es jetzt viele, viele Jahre ohne Siena und wir waren schon sehr gespannt, was noch gleich sein würde, was anders. Zweiteres zum Glück nicht viel – Siena ist immer noch die Stadt, wie wir sie in Erinnerung haben. Es gibt natürlich die touristischen Hotspots, gab es auch damals schon, aber wenn wir ein wenig abseits gehen, sind wir fast allein unterwegs. Und sie gehört immer noch den Einheimischen, sie wohnen, leben und arbeiten hier und lassen sich auch in der Via Cittá, am Il Campo, in den Cafés und Lokalen nicht von den Touristinnen und Touristen aus aller Welt verdrängen. Es gibt sie hier noch, die Italianitá!

In dem Hotel, in dem wir wohnen, wird zwar großteils Englisch gesprochen, aber das hat mit der Geschichte des Hauses zu tun. Es ist ein alter Palazzo, Palazzo Ravizza, den im Jahr 1922 zwei junge italienische Damen erbten. Um ihn erhalten zu können, öffneten sie ihn im selben Jahr noch für Gäste. Durch Kontakte in den angelsächsischen Raum, wo sie auch Unterstützerinnen fanden, beherbergten sie vor allem Gäste aus England und den Vereinigten Staaten. Und das scheint bis heute so geblieben zu sein.

Wir haben hier ein Zimmer mit Aussicht! gebucht. Dabei blicken wir auf den hoteleigenen Garten, Teile der Stadt und in die Weite der toskanischen Landschaft mit seinen von Pinien, Zypressen und Zedern bewachsenen Hügelketten. Im Zimmer selbst gibt es auch viel zu sehen, sogar vom Bett aus können wir italienische Kunst in Form eines Deckenfreskos bestaunen. Auch das Frühstückszimmer, das zum Garten ausgerichtet ist, ist eine Augenweide. Und im Garten zu sitzen, den Blick schweifen zu lassen oder ein Buch zu lesen, ist Erholung pur.

Nach dem Müßiggang treibt es uns dann wieder in die Stadt und wir lassen uns treiben. So spült uns gleich am ersten Tag ein Regenguss in einen anderen Palazzo, den Palazzo delle Papesse (Palast der Päpstinnen). Nicht verwunderlich waren die Frauen, die diesen Palazzo erbauen ließen nicht wirklich Päpstinnen, sondern die Schwestern eines Papstes. Zwischenzeitlich war er dann Sitz einer Bank und nun ist er ein Museum. Ein Museum, das diese geschichtsträchtigen Räume in Kombination mit moderner Kunst hervorragend in Szene setzt. Als Besucherin kannst du neben der Ausstellung das gesamte Gebäude von den ehemaligen Tresorräumen im Keller bis hinauf zum Colombaio (Taubenschlag) erkunden. In besagtem Colombaio hat sogar Galileo Galilei seine Himmelsbeobachtungen gemacht. Diese Tatsache war für die jetzigen Betreiberinnen des Museums der Anlass, den Künstler Julio Le Parc für eine Ausstellung einzuladen. Sein strukturiertes Arbeiten und erforschen der Dimensionen bot ihnen Parallelen zu Galilei. Dieser Gegenwartskünstler ist Argentinier und hat eine seiner Arbeiten mit Musik von Astor Piazzolla hinterlegt. Wenn das kein Zufall ist!

Nach dem Kunstgenuss ist es dann höchste Zeit für kulinarischen Genuss, und auch hier werden wir nicht enttäuscht, es schmeckt so gut wie damals – ob Salami, Prosciutto, Pecorino, marinierte Sardinen oder eingelegte Artischocken, ob Bohnengerichte oder eine herzhafte Ribollita. Und natürlich Café, dafür müssen wir zu Nannini. Eine Institution in Siena mit dem besten Kaffee, zu dem man Ricciarelli, ein Mandelgebäck, genießt. Aber nicht nur für einen Café, auch zum Aperitiv sehr zu empfehlen!

Und ja, natürlich zieht es uns auf unseren Streifzügen durch die Stadt immer wieder auf Il Campo, jenen zentralen Platz, der das Feld heißt. Im Prinzip besteht er ja auch nur aus Lehm und jetzt im Herbst, nach einigen Regengüssen, wird er sogar grün. Es ist einer der faszinierendsten Plätze mit seiner Form einer Muschel, die dich umfängt, wenn du dort bist – egal ob bei Regen, wenn er leergefegt ist oder bei Sonnenschein gefüllt mit Menschen aus aller Welt.

Wir sind zwischendurch ganz ergriffen von allem Schönen und Genussvollen, das uns hier auf Schritt und Tritt begegnet. Sie ist nicht nur wachgeküsst, die alte Liebe, sie ist wieder voll entflammt!

Andrea

8 Kommentare zu „Siena, alte Liebe“

  1. vielen Dank für diesen wunderschönen so lebendigen Bericht. Ich habe das jetzt wirklich sowohl durch eure Augen, als auch dieses eintauchen in das italienische Lebensgefühl,die Freude an der Schönheit der Anlagen und Atmosphäre so intensiv gespürt wirklich ein ganz besonderer Genuß und dann noch dieser Zufall!
    Vielen Dank

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