Klassische Tango-Orchester, Teil 1

Welch wunderbare Zeit muss es gewesen sein im Buenos Aires der 1930er und 1940er Jahre, als jeden Abend irgendwo in der Stadt mehrere der berühmten Orchester aufgespielt haben und die Tangueros und Tangueras sich gefragt haben: Wohin gehen wir heute tanzen, zu D’Arienzo, zu Canaro, zu Di Sarli, …? Sie alle haben Tangogeschichte geschrieben und so werden sie auch heute auf den Milongas gespielt und wir können zu ihrer Musik tanzen, wenn auch nicht mehr live.

Die Musiker der klassischen Orchester, zu dieser Zeit waren es fast ausschließlich Männer, waren Persönlichkeiten mit ihrer je eigenen Geschichte und so haben sie auch ihren jeweils eigenen Stil entwickelt. Was unterscheidet also einen D’Arienzo von einem Di Sarli, oder einen Troilo von einem Canaro? Die einzelnen Orchester und ihren Stil zu kennen, ist fürs Tanzen auf alle Fälle von Vorteil. Um gut auf die Musik tanzen zu können, ist es wichtig, sich in die Tangomusik einzuhören. Michael Lavocah formuliert es in seinem Buch Tangogeschichten, was die Musik erzählt folgendermaßen: Die Ohren für diese unglaubliche Musik zu öffnen, damit die Musik von den Ohren zum Herzen und vom Herzen in die Beine gehen kann.

So möchte ich in diesem Blogartikel anhand des oben genannten Buches einige dieser klassischen Tango-Orchester, mit entsprechenden Musikbeispielen versehen, vorstellen. Er soll einladen, ganz bewusst zuzuhören, sich vorzustellen, wie man diese Musik vertanzen könnte, ja vielleicht auch ein paar Schritte wirklich zu probieren.

Den Anfang mache ich mit Juan D’Arienzo, dem König des Taktschlags, wie er genannt wird. Er ist derjenige, der eine ganze Stadt auf die Beine brachte und eine Generation von Tangohörer*innen zu Tangotänzer*innen machte. Außerdem gilt er als Wegbereiter für alle nachfolgenden Tanzorchester der 1940er Jahre. Er griff das Repertoire der „alten Garde“ auf, versah es allerdings mit moderneren Arrangements und dem für ihn so typischen Staccato-Schliff seines Beats. Die Bandoneons sind bei ihm die „Rhythmus-Maschine“ des Orchesters, die Schlüsselfigur ist allerdings der Pianist Rodolfo Biagi, bekannt für seine stakkato-artigen Einwürfe in den Pausen. Am allerletzten Tag des Jahres 1935 machte D’Arienzo die ersten Aufnahmen mit Biagi am Klavier. Dazu gehörte der Tango 9 de julio. Am Beginn hört man das Stakkato der Geigen, das sich durch das ganze Stück zieht, dazwischen die Einwürfe des Klaviers, das Geigensolo ist eine schlichte Melodie in tiefen Tönen und die Bandoneons treiben das Stück im letzten Teil voran:

Das Orchester, das in größtem Gegensatz zu jenem von Juan D’Arienzo stand, war das von Aníbal Troilo. Nicht nur weil er die Melodie mehr liebte als D‘Arienzo, sondern weil er dem Sänger die Melodie übertrug – als dem ausdrucksvollsten Instrument des Orchesters. Mit ihm begann der Aufstieg des Orchestersängers, er schuf eine neue Beziehung zwischen dem Orchester und dem Sänger, der bei ihm kein Refrainsänger mehr war. Ansonsten charakterisieren den Troilo-Sound reiche Arrangements, die zügig zwischen stakkato (abgehackten) und legato (glatten) Passagen hin und her wechseln. Der Sänger, der in einem Atemzug mit Troilo genannt wurde, war Francisco Fiorentino. So ist das folgende Musikbeispiel, der Tango Toda mi vida, von Troilo selbst komponiert, eine Aufnahme mit Fiorentino als Sänger aus dem Jahr 1941. Der Aufbau ist typisch für die Vokal-Tangos der 40er Jahre. Er beginnt mit einer instrumentalen Strophe, gefolgt von einem instrumentalen Refrain, danach wird die erste Strophe gesungen, gefolgt von einem gesungenen Refrain, die 2. Strophe ist ein instrumentales Solo und der Refrain am Schluss ist in diesem Fall auch instrumental:

Das Orchester von Carlos Di Sarli war das Ensemble, dem die Melodie am wichtigsten war. Die Kombination von meisterhaft beherrschter Melodieführung und ruhig dahin schreitendem Takt hat dafür gesorgt, dass sein Orchester unter Tänzer*innen bis heute eines der populärsten geblieben ist. Seine Musik, die, obwohl die Melodie im Vordergrund steht, den compás klar aufrecht erhält, ist zugleich elegant und stilvoll. Obwohl er selbst Pianist war, ist das Typische an seinen Arrangements, dass alles mit den Streichern gemacht wird, die Melodie und der Rhythmus. Im Laufe der Jahre setzte er immer mehr Geigen ein. Hatte er 1939 noch 3 Geigen und 3 Bandoneons in seinem Orchester, so waren es 1958 schon 8 Geigen und 5 Bandoneons, das typische Tangoinstrument tritt bei ihm also in den Hintergrund. Das Musikbeispiel Milonguero viejo aus dem Jahr 1940 macht das deutlich, die Geigen werden sowohl für die Stakkatos als auch für die Legatos verwendet. Zwischendurch hört man zierliche Einsprengsel am Klavier, von Di Sarli selbst gespielt:

Soweit eine erste, sehr kleine Auswahl. Vielleicht war schon das Orchester dabei, zu dem du am liebsten tanzt. Wenn nicht, es folgt ein zweiter Teil, in dem ich weitere Orchester vorstelle.

Andrea

Verwendete Literatur:
Michael Lavocah, Tangogeschichten: Was die Musik erzählt, milonga press

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