Das liebe Geld …

Über Geld spricht man nicht. Geld hat man! So lautete einer der unantastbaren Stehsätze meiner Kindheit. Ich finde, es ist höchste Zeit dieses Tabu zu brechen und über Geld zu reden! Auf unserem Weg in die Selbständigkeit war dieses Thema von Anfang an zentral und durchaus emotional, also auch mit Sorgen und Ungewissheiten verbunden. Aber schön langsam, beginnen wir der Reihe nach …

Seit meinem 23. Lebensjahr war ich in der glücklichen Lage, monatlich ein Gehalt auf meinem Konto vorzufinden. Erst als klar war, dass ich als Lehrerin kündigen werde, wurde mir diese scheinbare Selbstverständlichkeit immer bewusster und die Frage, wie es sein wird, wenn diese Sicherheit wegfällt, drängte sich auf. Ich nahm das zum Anlass über mein Verhältnis zu Geld nachzudenken und bin auf das Buch SteinReich von Luisa Francia gestoßen. Gleich am Anfang des Buches stellt sie fest, dass wir Menschen es sind, die dem Geld, diesem Stück Papier oder diesem runden Metall, seine Wertigkeit und damit seinen Wert und seine große Bedeutung geben. Als Kinder haben wir schöne Steine gesammelt und sie als großen Schatz angesehen. Die Augen konnten sich nicht daran sattsehen. Warum sollten die Augen eines Erwachsenen nicht mehr beim Anblick von Steinen, sondern von Münzen leuchten? Eine wunderbare, fast magische Begegnung in Buenos Aires verdeutlichte mir dieses Thema eindrucksvoll:

Wir saßen in der U-Bahn, die gerade erstaunlich leer war. Da stieg eine alte Frau ein, klein, mit dunkler Hautfarbe, barfuß und ärmlich gekleidet – aber mit einer aufrechten Körperhaltung und der Ausstrahlung einer Königin! Ohne Worte ging sie an uns vorbei und reichte uns im Vorbeigehen ein kleines Stückchen Papier, herausgerissen aus einer Zeitung. Wir waren irritiert und überlegten, was dies zu bedeuten habe. Ein Mann nebenan machte mit einer Geste klar, dass er sie für verrückt hielt. Aber uns wurde bald klar, worum es ging – es war ein Tausch! Und tatsächlich, kurz drauf kam die Frau zurück, blieb wieder nicht stehen, sondern verlangsamte nur ihren würdevollen Schritt und nahm aus meiner Hand das Stück Papier entgegen, das ich ihr reichte – einen Geldschein. Ohne sich umzudrehen verließ sie die U-Bahn an der nächsten Station. Ich war tief berührt, hatte das Gefühl von dieser Frau, die wie aus dem Nichts auftauchte und wieder verschwand, eine Lektion für mein Leben geschenkt bekommen zu haben: Wir selbst geben den Dingen ihren Wert und wir selbst haben den größten Wert, den es auf dieser Welt gibt!

Ein weiteres Thema rund ums Geld, von dem Luisa Franca in ihrem Buch spricht, war in dieser Begegnung enthalten – nämlich dass das Geld fließen muss. Gerade in Zeiten der Knappheit rät unsere Gesellschaft zum Sparen, zum Festhalten dessen, was man/frau hat. Aber nur wenn ich loslassen kann, das Geld fließen lasse, wird es auch wieder zu mir zurückfließen. So war es uns in jenen ersten Monaten nach der Kündigung wichtig, zwar bewusster mit Geld umzugehen, aber es weder zu horten noch anzufangen, damit zu knausern. Nicht das Festhalten, sondern das Loslassen hält alles im Fluss! Und schon  nach kurzer Zeit merkten wir, dass wir mit viel weniger Geld auskamen als zu jener Zeit, da wir beide „gut verdient“ hatten und uns „etwas leisten konnten“. Wir haben uns materiell sehr reduziert, aber wir haben das nie als Einschränkung oder Verzicht erlebt, sondern überrascht festgestellt, dass uns nichts abgeht, wenn wir weniger konsumieren! Das Geld konnte nach wie vor fließen, etwa für gute Lebensmittel oder einen schönen Espresso, für Momente des Genießens. Aber viele andere materielle Dinge, so haben wir festgestellt, brauchen wir einfach nicht (mehr). Und so hatten wir auch immer genug Geld, obwohl wir viel weniger zur Verfügung hatten als in jenen Jahren, als das Konto monatlich mit einem Gehalt gefüttert wurde.

Im letzten Teil des Buches formuliert Luisa Franca 64 Orakelsprüche rund ums Geld und einer davon hat uns sofort angesprochen und in der Folge begleitet:

Du machst neue Lernprozesse und gehst an viele Orte, um viele verschiedene neue Dinge zu erfahren und zu lernen. Es ist nicht gerade eine besitzintensive Zeit, dafür sammelst du Erfahrungen und Wissen, die du später in Materie umsetzen kannst. Deine Lehr- und Wanderjahre stehen an, egal wie alt du bist. Denk daran, dass viele Frauen mit vierzig, sogar mit fünfzig ein völlig neues Leben anfangen. Frauen sind unbegrenzt lernfähig! Werde eine Nomadin in der Welt der starren Gesetze und Unveränderlichkeiten. Denn wenn du beweglich bist, bewegst du auch die Welt. (Orakel 56).

Treffender könnten die Jahre, in denen wir unsere Selbständigkeit aufgebaut haben, kaum beschrieben werden! Anfangs scherzten wir noch, ob die Lehrzeit drei oder vier Jahre lang sein werde. Sie dauerte exakt drei Jahre! Und heute sind wir soweit, unsere Erfahrungen in Materie, sprich in Geld, umsetzen zu können und finanziell auf eigenen Beinen zu stehen. Wir verdienen viel weniger als früher, aber wir kommen auch mit viel weniger Geld aus und haben dennoch das Gefühl – im wahrsten Sinne des Wortes – im Wohlstand zu leben. Für mich hat sich außerdem der Bezug von Arbeit und Lohn stark verändert. Als Lehrerin war das Gehalt etwas, das automatisch auf mein Konto kam. Ich habe nie darüber nachgedacht, aber meine Arbeit hatte keinen direkten Bezug zu meinem Gehalt. Wenn wir jetzt zum Beispiel eine Tango-Privatsunde geben, dann haben wir am nächsten Tag Geld in der Tasche, um einkaufen oder essen gehen zu können. Das ist viel unmittelbarer und konkreter. Und das Schöne ist, es geht sich einfach immer aus! Wir haben das, was wir brauchen. Wir machen uns nicht wirklich Sorgen ums Geld, die Ängste vor der Selbständigkeit haben sich schrittweise in Luft aufgelöst, sobald wir uns auf den Weg gemacht haben und unsere Lehr- und Wanderjahre begonnen hatten. Als wir in dieser Zeit einmal die Grundzüge für unsere Selbständigkeit zusammengetragen haben, haben wir folgende Sätze aufgeschrieben: Mehr und mehr sind wir uns des Wertes unserer Arbeit bewusst. Geld und unser Verhältnis zu Geld fühlen sich gut an. Wir sind begeistert davon, in Wohlstand zu leben!

Und wir haben gelernt, übers Geld zu reden, unsere Finanzen zu planen, das Geld fließen zu lassen. Immer wieder denke ich dabei an jene Frau in Buenos Aires, die sich ihres Wertes so sicher war und werde durch sie ermutigt, für unsere Arbeit einen angemessenen Preis zu verlangen. Auch sie war eine Nomadin in der Welt der starren Gesetze. Und sie hat uns gezeigt, dass diese auch in Sachen Geld nicht unveränderlich sind, sondern dass es auf den Blickwinkel ankommt.

Sigrid

Verwendete Literatur:
SteinReich, Luisa Francia, Verlag Frauenoffensive

 

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