Leben in Buenos Aires

Hola muchachos!

Nun ist schon wieder eine Woche um, und in drei Wochen werden wir bereits zuhause sein. Hier beginnen wir schon mit dem Verabschieden. Gestern haben wir unseren letzten Ausflug mit Nestor und Patricia gemacht und sind bei ihnen zuhause ein letztes Mal bei einem Gläschen Champagne zusammen gesessen. Sie sind wirklich sehr nett und wir haben die Zeit mit ihnen sehr genossen. Sie haben uns hier nicht nur viele schöne Plätze gezeigt, die wir selber wahrscheinlich nicht gefunden hätten, sie waren auch sehr herzlich und offen. Die Unterhaltungen mit ihnen waren auch immer sehr interessant und wir haben so einiges über dieses Land erfahren. Nestor hat es gestern so zusammengefasst: El pais es loco, pero la gente son maravilloso. (Das Land ist verrückt, aber die Leute sind wunderbar.) So haben auch wir es hier erlebt. Es gibt so vieles, das hier nicht funktioniert und angeblich bricht die Wirtschaft im Rhythmus von zehn Jahren zusammen. Aber die Menschen sind trotzdem optimistisch, humorvoll und sehr hilfsbereit und herzlich. Viele müssen hier zu ÜberlebenskünstlerInnen werden.

Die unterschiedlichen Lebensformen, die es hier gibt, haben mich überhaupt sehr interessiert. In unserer Gesellschaft ist ja die Lebensform sehr davon abhängig, wie man sein Geld verdient. So gibt es hier z.B. viele Berufe/Jobs, die es bei uns so nicht mehr gibt oder zumindest nicht in so großer Anzahl. Einer davon ist der Portier.  Hier gibt es bei jedem Wohnhaus noch eine Portiersloge und sie ist auch besetzt. Die Häuser sind nämlich alle verschlossen und wenn man keinen Schlüssel hat, öffnet der Portier und wacht darüber, wer das Haus betritt.

Alle anderen Gebäude, wie Kaufhäuser, Hotels, Banken, öffentliche Gebäude, … werden von Sicherheitsbeamten bewacht, die den ganzen Tag beim Eingang stehen. Es gibt also kaum unbewachte Häuser und Sicherheit ist hier ein großes Thema. Manche gehen aus Gründen der Sicherheit sogar freiwillig ins “Gefängnis”. Bei unserem gestrigen Ausflug waren wir außerhalb von Buenos Aires noch einmal im Deltagebiet des Rio Parana, im sogenannten Norddelta. Dort ist es gerade sehr in, sich ein Haus zu kaufen. Patricia hat gemeint, alle wollen hier wohnen. Entsprechend hoch sind auch die Preise. Die Häuser, die es dort gibt, sind alle innerhalb von hohen Mauern oder Zäunen mit Stacheldraht. An den Ecken gibt es Wachtürme, wahrscheinlich auch Überwachungskameras und einen Einfahrtsbereich mit Schranken, der natürlich auch bewacht ist. Sehr sicher! Diese Menschen arbeiten nicht in der Stadt, weil der Weg zu weit ist, sondern von zu Hause aus über den Computer. Sie leben also in ihrer eigenen kleinen Welt.

Zurück nach Buenos Aires – hier arbeiten viele Menschen auf der Straße. Da gibt es an vielen Ecken Schuhputzer, die für ihre Kunden sehr komfortable Stühle bereit stehen haben und deren Schuhe ganz professionell auf Hochglanz bringen. Dann gibt es unzählige Straßenverkäufer, die Socken, Handtücher, T-Shirts, eigene Handwerksprodukte, Blumen, Wurst und Käse, … feilbieten. Sie haben ihre Angebote entweder auf Decken ausgebreitet oder haben kleine Wägelchen, mit denen sie herumziehen oder sie haben überhaupt nur sich selbst beladen und preisen ihre Produkte wie Marktschreier an.

Dann gibt es noch einen sehr seltsamen Job. Die Menschen, die ihn ausüben, nennt man “arbolitos” (Bäumchen). Unzählige von ihnen stehen den ganzen Tag in allen Fußgängerzonen und rufen unablässig: “Cambio! Change! Dolares, Euro, Real!” Man kann bei ihnen schwarz Geld wechseln. Es existiert ein riesiger Schwarzgeldmarkt ganz offiziell. Und es heißt hier nicht Schwarzgeld sondern “Dollar blue” mit einem eigenen Wechselkurs, den man auch in den Nachrichten erfährt. Die “arbolitos” bringen ihre Kunden in versteckte Wechselstuben, wo dann das Geschäft abgeschlossen wird.

Es gäbe hier noch viele andere Jobs zu erwähnen, aber ich will meinen Bericht nicht unendlich werden lassen. Erzählen muss ich noch von den Menschen, die keine Arbeit oder keinen Job haben und deshalb buchstäblich auf der Straße leben. Es gehört hier zum Straßenbild, an dem sich niemand zu stören scheint, dass Menschen am Gehsteig liegen und schlafen. Manche liegen auf einer Matratze in einer Hausnische, andere am blanken Stein nur mit einer Decke oder einem Tuch bedeckt. Einen Mann gibt es, der wie zum Hohn, sein Nachtlager regelmäßig in der Eingangsnische zum Wohnungsamt aufschlägt. Sehr berührt hat mich auch eine Entdeckung, die wir vor kurzem in dem Park, in dem wir unsere Spazierrunden drehen, gemacht haben.  In einem Baum, den wir wegen seiner Blütenpracht näher betrachtet haben, fanden wir ein fein säuberlich zusammengerolltes Bündel von Habseligkeiten. Es gehört sicher einem Menschen, der in diesem Park sein Nachtquartier bezieht. Man stößt also an allen Ecken und Enden auf die großen Widersprüchlichkeiten dieser Stadt, dieses Landes. Regiert wird es nämlich von einer Präsidentin, die schon mehrere Schönheitsoperationen hinter sich hat und Evita zu imitieren versucht. Ich bin vielleicht von Patricia und Nestor beeinflusst, sie mögen Christina Kirchner nicht und trauen ihr nicht zu, Argentinien aus der momentanen Krise zu führen.

Wie es mit diesem Land weitergeht, werden wir bald auch nur mehr aus der Ferne mitbekommen, aber mit einem anderen Bewusstsein.

Bei euch ist es jetzt ja schon mitten in der Nacht und so verabschiede ich mich mit einem “Buenas noches” !

Andrea

 

 

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