¡Todo tango!  

Buenos Aires ist die Stadt des Tangos! Und das zeigt sich auf sehr unterschiedliche Weise. Auf der Straße werden wir pausenlos angesprochen und zu den teuren, für Tourist*innen arrangierten, Tangoshows eingeladen. Kitschig färbige Ansichtskarten mit Tanzpaaren in klischeehaften Posen zeigen das Marketingbild des Tangos: Machismo und Erotik. Auch das Tanzpaar, das regelmäßig in der Fußgängerzone auftritt, bedient sich leider dieses Klischees und so bleiben wir, trotz unserer Verbundenheit mit Straßenkunst, nicht lange stehen, um ihnen zuzuschauen.

Um den Tango wirklich erleben zu können, muss man genauer hinschauen, sich auf die Suche machen. Die Studios, in denen Kurse abgehalten werden, sind nach außen hin kaum sichtbar – oft sind es einfache Hauseingänge und es gibt kein Hinweisschild. Ähnlich verhält es sich auch mit den Milongas. Wenn man durch die Straßen geht, sind die Locations, in denen getanzt wird, kaum zu erkennen. Zu finden sind sie auf der sehr guten Internetseite Hoy Milonga, die je nach Wochentag knapp 20 bis über 40 Tanzveranstaltungen listet. So haben wir auch jene Milonga am frühen Abend des Wahlsonntags gefunden, die Andrea bereits erwähnt hat. Die angegebene Adresse war ein prachtvolles Wohnhaus mit einem stattlichen, aber fest versperrten Portal. Zum Glück kam gerade ein anderes Paar, das Bescheid wusste: sie telefonierten kurz, die Veranstalterin kam aus dem sechsten Stock herunter und öffnete uns. Oben angekommen, betraten wir eine Wohnung, im Salon und im Entré wurde getanzt, auf den kleinen Balkönchen gab es Sitzgelegenheiten. Die Milonga war gut besucht, aber nicht übervoll, die Leute schienen sich zu kennen und es herrschte eine sehr angenehme Stimmung.

Weit weniger gut besucht ist zu unserer Überraschung die Queermilonga, die noch immer im gleichen Club stattfindet wie vor 12 Jahren. War es damals aber eine ziemliche Herausforderung mit sehr wenig Platz auf der übervollen Tanzfläche zurecht zu kommen, so kann davon heute keine Rede mehr sein – obwohl die Tanzfläche deutlich verkleinert wurde. Mariana meint, es sei ein schwieriges Jahr für den Tango, denn es kommen wenige Tourist*innen. Das mag ein Grund sein, ein anderer ist wohl, dass es mittlerweile mehrere queere Milongas gibt. Mariana und Augusto haben vor Jahren Pionierarbeit geleistet, Queertango aufgebaut und ihre Milongas waren lange Zeit die einzigen queeren Angebote. Mittlerweile gibt es eine nächste Generation, die eigene Milongas anbietet und somit haben jene, die nicht nur auf traditionellen Milongas tanzen möchten, mehrere Möglichkeiten.

Eine weitere Milonga muss ich unbedingt noch erwähnen: Sonntag abends wird in der Glorieta de Belgrano getanzt. Mitten in einem Park gelegen, mit einem Marmorboden als Tanzfläche, dem stimmungsvollen Licht des frühen Abends und der Laternen ist es ein zauberhafter Ort fürs Tangotanzen. Doch auch hier zeigt sich dasselbe Bild: die Milonga ist gut besucht, die Tanzfläche aber bei weitem nicht dicht gefüllt. Und das trotz der angenehmen Uhrzeit am frühen Abend, die nicht nur wir schätzen. Andrea kam mit einem Tanzpartner ins Gespräch und er sagte, er wohne hier im Viertel und bevorzuge diese Milonga, weil sie nicht erst ganz spät beginnt, da er am nächsten Tag arbeiten müsse. Tatsächlich gibt es mittlerweile auch wochentags einige Milongas, die nicht erst um 22.30 Uhr beginnen und bis 3 Uhr morgens dauern.

Neben dem Tanz ist es natürlich auch die Tangomusik, die diese Stadt prägt. Einmal waren wir in San Telmo unterwegs, als wir auf der Straße plötzlich ein Tangoorchester hörten. Die Klänge kamen aus einem Haus, das wohl eine Art Musikschule oder Kunstuniversität ist. Junge Musiker*innen probten mit ihrem Maestro, der in ihrer Mitte saß. Wir konnten uns kaum losreißen und eilten dann beschwingt zu unserem Tanzunterricht.

In der Stadt des Tangos waren wir auch auf der Suche nach „Tangomusik zum Mitnehmen“. Da wir Spotify&Co verweigern, wollten wir unsere Musiksammlung mit CDs erweitern, denn in Europa ist es nicht ganz einfach, diese zu finden. Hier wähnten wir uns im Musikparadies und müssen nun für mehr als 20 CDs – die Klassiker der großen Orchester ebenso wie neue Tangomusik – Platz in unseren Koffern schaffen.

Neue Tangomusik haben wir bei einem ganz besonderen Konzert live erlebt – und zwar völlig anders als erwartet. Meist denkt man bei Tango Nuevo an Astor Piazzolla, an Electrotango oder an moderne, eher schräge Tangomusik. Im Mai hatten wir in Graz solch ein Konzert erlebt – das Quartett Cuero Tango mit der Cellistin Martina Greiner, die aus Österreich stammt, war auf Europatournee. Wir kamen ins Gespräch und hatten vereinbart, dass wir uns bei ihr melden, wenn wir in Buenos Aires sind. Gesagt, getan! Diesmal spielte sie in einem Streichquartett, gemeinsam mit dem Gitarristen und Komponisten Alejandro Bordas und zwei Sängern.

Bordas folgt mit seinen Kompositionen der Tradition der gesungenen Tangos vor 100 Jahren, gibt ihnen aber einen neuen Klang und neue Texte, die das heutige Leben thematisieren. In einem kleinen Theater, sehr intim und familiär, spürten wir die fesselnde Energie dieser Musik, und ich dachte: so muss es damals gewesen sein in den Tangokneipen, wenn ein Sänger einen Tango mit voller Hingabe interpretierte. Dieses Gefühl verstärkte sich nochmals bei jenen Stücken, die nur mit Gitarre und Gesang den Geist der Anfänge der Tangomusik wachküssten – trotz der neuen Melodien, der modernen Arrangements.

Als wir nach dem Konzert im Taxi zurück ins Zentrum fuhren, erklang keine Tangomusik, wie es ein Klischee besagt. Ich musste schmunzeln und dachte: es sind eben nicht die Klischees, die Buenos Aires zur Stadt des Tangos machen!

Sigrid

8 Gedanken zu „¡Todo tango!  “

  1. Liebe Tango-Botschafterinnen!

    Danke für euren packenden Bericht. Schöne Zufälle und Begegnungen! Es scheint, „Müdigkeit“ bei euren Erkundungstouren ist für euch ein Fremdwort? Wünschen euch noch eine gute Zeit …
    GlGr

  2. Hallo liebe Andrea und Sigrid, danke für euren lebendigen Bericht aus der Welthauptstadt des Tango, in der ich seit 15 Jahren jedes Jahr mehrere Wochen und mittlerweile Monate verbringe. In der Queer-Tangoszene kenne ich mich nicht aus, aber alles andere konnte ich sehr gut nachvollziehen. Es ist eine große Herausforderung, sich hier in der Fülle der 20 bis 40 täglichen Milongas zurechtzufinden, darum habe ich vor drei Jahren damit begonnen, Informationen über den Tango und das Leben in Buenos Aires für Tourist*innen (und Einheimische) auf Facebook zu teilen. Seit einem Jahr habe ich eine eigene Facebook-Gruppe („Tango and Life in Buenos Aires – Christines Tango Guide 2025“), auf der ich vor allem in den sog. Info-Guides viele Infos für Tourist*innen zur Verfügung stelle und viele Milongas in kleinen Porträts vorstelle. Dort könnt ihr weitere Anregungen für eure Entdeckungstour in BA erhalten; zum Beispiel gibt es an Sonntagabenden eine andere sehr schöne Outdoor-Milonga im Parque de la Estación: „Los Sensibleros“. Ich wünsche euch noch eine spannende Zeit in Buenos Aires, wo ich gerade ebenfalls angekommen bin. Viele Grüße von Christine

    1. Liebe Christine, danke für deine Tipps!
      Wir sind bereits am Abschiednehmen, ein Monat in Buenos Aires verfliegt so schnell. Dir eine schöne Zeit in der Stadt des Tangos, alles Liebe, Andrea und Sigrid

  3. so schön von euch so intensiv mitgenommen zu werden! ich freue mich schon auf tango get together und eure impulse die ihr zu tango goes church mitbringen werdet! habt noch eine schöne Zeit, einen guten Abschied und eine gute Rückreise , bei der eure tangoseele mitkommt !

    1. Ja, wir sind mittendrin im Abschiednehmen: heute haben wir unseren letzten Kurs, morgen gehen wir nochmals auf eine Milonga und übermorgen reisen wir ab. Die Tangoseele kommt bestimmt mit!

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