Wie so vieles hat sich auch das Reisen in den letzten 25 Jahren sehr verändert. Keine Sorge, es folgt jetzt keine Lobeshymne auf die gute alte Zeit. Ich bin keine, die die Vergangenheit glorifiziert, aber ich denke gerne darüber nach, was gesellschaftliche Veränderungen mit uns machen und wie sich die technischen Veränderungen auch auf die persönlichen Erfahrungen einer Reise auswirken. Nehmen wir als Beispiel die dreiwöchige Reise per Rad durch Portugal, die Andrea und ich vor genau 25 Jahren gemacht haben:
Wir sind mit unseren Rädern in Graz ins Flugzeug gestiegen und im Pauschalurlaubsparadies Faro gelandet. Vom Flughafen sind wir losgeradelt, erst an die südwestliche Spitze Europas, nach Sagres, wo wir einige Tage auf einem Campingplatz waren. Dann ging es mit dem Zug nach Porto, um von dort 10 Tage lang mit dem Rad nach Lissabon zu fahren. Meist haben wir wild campiert und die Route mit Hilfe einer Landkarte zusammengestellt. Kein Navi, kein Routenplaner, kein App für … – wir sind einfach so drauf losgefahren. Unsere Familien wussten nicht, wo wir gerade sind, wir waren nicht per Handy, Skype, Social Media oder Mail erreichbar – wir waren einfach weg! Auf uns allein gestellt, mussten wir mit so manchen ungeplanten Wendungen und unerfreulichen Überraschungen wie etwa der Tatsache, dass man ein Fahrrad in portugiesischen Nachtzügen nur am Abfahrtsbahnhof und nicht bei Zwischenhalten verladen kann, zurechtkommen – ohne schnell zu googeln, welche Alternativen sich nun anbieten. War dies besser oder schlechter als heute? Weder noch, es war anders! Und es hat bewirkt, dass wir viele neue Erfahrungen machten und ein Trainingscamp puncto Selbständigkeit absolvierten. Wäre uns etwas zugestoßen, hätte uns niemand gleich gesucht. War es damals weniger gefährlich als heute? Auf jeden Fall war das Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft nicht so medial hochgeschaukelt wie heute. Unsere Familien wussten nur, wann wir wieder am Flughafen Graz ankommen und sie uns bitte abholen sollten. Gegen Ende dieser dreiwöchigen Reise ist uns am Campingplatz in Lissabon eine deutschsprachige Tageszeitung in die Hände gefallen und wir haben uns wieder eingeklinkt in die reale Welt(politik). Dazwischen waren wir einfach mal weg …
Vor knapp vier Jahren waren wir, wie viele von euch ja wissen, für drei Monate in Buenos Aires. Auch da haben wir uns im Vergleich zu anderen Reisenden noch geweigert, ein Handy mitzunehmen oder auf Facebook zu gehen und immer erreichbar zu sein. Aber wir hatten das Notebook im Reisegepäck. Die Anfänge dieses Blogs sind dort entstanden in Form unserer Mails aus Buenos Aires, die wir zweimal wöchentlich an ca. 30 Personen verschickt haben. Unsere Freundinnen und Freunde sowie unsere Brüder haben gelegentlich auf diese Mails geantwortet und uns so über Ereignisse zu Hause am Laufenden gehalten und zu Weihnachten haben wir von einer öffentlichen Telefonzelle aus unsere Eltern angerufen. Wir waren also nicht mehr ganz verschwunden, aber wir haben uns ganz bewusst so weit wie möglich ausgeklinkt – im wahrsten Sinne des Wortes meilenweit entfernt von dem Leben, das wir bis dahin geführt hatten und sehr auf uns konzentriert in dieser Zeit, in der wir die Weichen für die Verwirklichung unseres Traumes gestellt haben. Zurückgekehrt sind wir mit der Entscheidung, diesem Traum zu folgen – den Tango und die Straßenkunst zu unserem Beruf zu machen.
Warum erzähle ich gerade heute diese beiden Beispiele aus der Vergangenheit? Warum denke ich nach über die heutige Art zu reisen – mit Handy, Notebook, Navi und Apps? Nun, wie Andrea schon in einem Blogartikel im Juni berichtet hat, ist ihr Bruder Sepp gerade zu Fuß unterwegs nach Irland. THELONGWALKHOME ist für ihn und seinen irischen Freund Eammon mehr als eine persönliche Reise. Es geht den beiden nicht nur um die Erfahrung einer Wanderreise quer durch Europa, sondern sie sammeln auch Spenden für die Demenzforschung. Und dies ist nur möglich, wenn sie nicht ganz weg sind, sondern in einem Blog von ihren Erfahrungen berichten, wir alle mit verfolgen können, wo sie gerade sind und wie es ihnen geht, wenn diverse Medien auf sie aufmerksam werden und sowohl englischsprachige als auch österreichische Radiostationen ein Telefoninterview bringen … . Ich frage mich seit Wochen, wie es den beiden wohl damit geht – in so einer Ausnahmesituation, die eine dreimonatige Wanderschaft zweifelsohne ist, doch nicht ganz weg und für sich zu sein. Wie wäre die Reise für sie, wenn sie nicht medial verlinkt und durch all diese Kommunikationsmedien mit ihren Lieben zu Hause und einer gar nicht so kleinen Öffentlichkeit verlinkt wären? Ich weiß, diese Frage ist sinnlos, denn sie haben sich eben für diese Form des Reisens entschieden und – wie Heini Staudinger sagt – das Leben kennt keine Generalprobe! Aber ich bin mir sicher, dass ihre Reise ganz anders verlaufen wäre, hätte sie vor 25 Jahren stattgefunden oder hätten sie sich entschieden, so zu reisen wie damals.
Ich neige dazu, dem Reisen ohne oder mit minimaler Nutzung der Kommunikationsmedien den Vorzug zu geben, weil ich glaube, dass es gut tut, mal GANZ weg zu sein – allein mit sich selbst und der Reisegefährtin bzw. dem Reisegefährten, ohne Ablenkungen von außen, ganz im Hier und Jetzt. Aber dafür brauche ich nicht die Vergangenheit zu verherrlichen, ich muss nur wissen, was ich will und mich zwischen der einen und der anderen Form des Reisens entscheiden. Zugegeben, manchmal ist das gar nicht so ganz einfach. Aber es lohnt sich, darüber nachzudenken, oder?
Sigrid
PS: Wir folgen ab heute der italienischen Tradition des Ferragosta – bis Ende August werden wir die meiste Zeit FAST und dann auch mal GANZ weg sein – ein paar Tage in den Bergen. Daher gibt es in dieser Zeit auch keinen neuen Blogartikel!