La Strada

Ganz Graz wird zur Bühne, wenn Straßenkunst-Ensembles aus aller Welt die Stadt bespielen. Heuer mischen auch wir uns ins Geschehen, tauchen ein in die „kreative Stadt“. Das Wetter ist perfekt, die Atmosphäre in den Straßen, auf den Plätzen, in den Parks, … heiter und offen. Offen für das, was an kreativem Potenzial, an Emotionen, an Lachen und Lebenslust entsteht, wenn die ArtistInnen gemeinsam mit dem Publikum einen Ort der Stadt beleben.

Es ist allein das schon ein spannender Prozess, was mit einem Ort passiert, wenn er für kurze Zeit zur Bühne wird. Wir waren z.B. vorgestern Vormittag im Volksgarten, wo die Zygos Brass Band aufgespielt hat. Als wir ankamen, wir waren recht früh dran, präsentierte sich dieser Park so, wie man ihn als GrazerIn kennt. Ein schöner Park mit ausgedehnten Grünflächen und viel Wasser, bevölkert von den Randgruppen unserer Gesellschaft, die auf den Bänken lagern, dahin dösen oder auch lautstarke Monologe halten. Und dann beginnt sich dieser Ort zu verändern, Menschen trudeln ein, kommen in Gruppen oder treffen sich da. Von Babys bis zu SeniorInnen sind alle Altersgruppen vertreten und bald ist der Park bevölkert und es herrscht fast eine Feststimmung. Alle sind in Erwartung – und dann ist es soweit. Aus der Ferne hört man die ersten Klänge der Band. Sehr zart und verhalten noch, ab und zu ein Klingeln, ein Rasseln, ein leises Trommeln, so kommen sie näher bis man sie auch zu sehen bekommt. Mit Masken, Federn und Ketten geschmückt, nehmen sie zuerst Aufstellung im Kreis und beginnen mit einem Gesang, dass man meint, man sei bei einer Voodoo-Zeremonie. Dann löst sich dieser Kreis auf und sie beginnen mit ihrem Spiel, bei dem sie durchgehend die Musik des Mississippi mit Elementen des Voodoo vereinen. Die Musiker sind ständig in Bewegung und in Interaktion mit dem Publikum, zwei Streetdancer wirbeln zwischen ihnen umher und bringen auch noch Akrobatik dazu. Die Stimmung wird immer ausgelassener, manche im Publikum beginnen zu tanzen bzw. werden von den beiden Streetdancern zum Tanz geholt. Seinen Körper nicht zu bewegen, wird jedenfalls unmöglich, und wenn es auch nur ein Mitklatschen ist. So entsteht auf dem runden Platz mitten im Park so etwas wie ein Feuerwerk der Lebenslust. Am Ende werden die Künstler auch mit tosendem Applaus bedankt, bevor sich diese hier gebündelte Energie langsam wieder aufzulösen beginnt. Die Menschen zerstreuen sich, bleiben noch in Grüppchen stehen, tauschen sich aus, plaudern, Kinder laufen umher, die Künstler verkaufen CDs, geben Autogramme und machen Dehnungsübungen. Nach und nach verlassen dann aber immer mehr Menschen den Park, die Künstler werden von La Strada-Mitarbeitern abgeholt, und bald schon gehört der Park wieder denen, die immer hier sind. Der Platz hat sich nicht sichtbar verändert, aber er ist verändert. Es würde mich sehr interessieren, wie die Menschen, die sozusagen in diesem Park leben, die Aufführung erlebt haben und ob sich für sie etwas verändert hat. Aber diese Frage kommt mir erst, als auch wir den Park schon wieder verlassen haben.

Ganz anders die Situation an einem Abend dieser Woche am Mariahilferplatz. Als wir dort ankommen, hat sich schon ein riesengroßer Kreis bestehend aus ein paar hundert Menschen gebildet. Wir fügen uns ein und man kann bereits jetzt die Energie spüren, die von diesem Kreis ausgeht. Die Leere in der Mitte erwartet den Künstler Joan Català. Er kommt allein, beladen mit einem Baumstamm an dessen einem Ende ein alter Eimer baumelt. Und er braucht nicht mehr als diesen Baumstamm und den Inhalt des Eimers – vier Tücher und Seile, um die Leere in der Mitte 45 Minuten lang mit Faszination zu füllen. Er führt virtuose Akrobatik und Körperbeherrschung vor, schafft Momente des Atemanhaltens genauso wie humorvolle Unterhaltung. Vier Männer aus dem Publikum werden zu einem wesentlichen Teil dieser Performance, in dem sie es sind, denen er beim Höhepunkt seines Auftrittes ganz und gar vertrauen muss. Immer wieder bezieht er auch den gesamten Publikumskreis mit ein, sodass das Gefühl entsteht, Teil eines Ganzen zu sein, eines positiven Ganzen, in dem teilen, zuhören und vertrauen wesentlich sind. Ich bin mir sicher, dass auch hier etwas von dieser positiven Energie zurück bleibt auf diesem Platz.

Wir haben in dieser Woche auch Auftritte „out of Program“ geplant. Auf dem Weg zu unserem ersten Auftritt war es ein anderes Gefühl in unserem Aufzug durch die Stadt zu gehen als sonst. Meist werden wir da nämlich angestarrt oder mit irritierten Blicken bedacht. Diesmal nicht, denn diesmal sind wir viele. Als wir am Jakominiplatz auf unseren Bus warten, steigt der Clown Murmuyo aus der Straßenbahn und zieht alle Blicke auf sich. Bei seinen Rundgängen durch die Stadt auf der Suche nach Freunden und Freundinnen (Quieres ser mi amigo?) gewinnt er alle Herzen. Als wir dann gerade beim Aufbauen für unseren Auftritt sind, fährt ein Bus von La Strada, besetzt mit KünstlerInnen vorbei, die uns sofort zuwinken. Oder dann am Heimweg hören wir eine Frau im Vorbeigehen sagen: „Ah, da sind auch wieder welche!“ Die Stimmung ist also schon eine Besondere, wenn so ein Straßenkunst-Festival stattfindet, und wir schmarotzen diesmal einfach ein bisschen mit, haben als Künstlerinnen das Gefühl, Teil eines Ganzen zu sein.

Andrea

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