Loco, loco, loco …

Es gibt einen berühmten gesungenen Tango namens „Balada para un loco“ (Ballade für einen Verrückten), der uns schon lange fasziniert. Erst kürzlich in Berlin haben wir ihn bei einem Tango-Chanson-Abend live gehört und unsere Faszination wurde dadurch noch gesteigert. Der Text ist von Horacio Ferrer, die Musik von Astor Piazzolla. Ich möchte diesmal Auszüge aus diesem Tango für meinen Artikel verwenden.

Ich weiß, ich bin verrückt, verrückt, verrückt
Siehst du nicht den Mond durch die Callao-Straße rollen
Und einen Chor von Astronauten und Kindern
Die um mich herum tanzen …?

Nun, dieses Gefühl, verrückt zu sein, überkommt mich auch immer wieder, seit wir uns auf den Weg gemacht haben, um Tango-Straßentänzerinnen zu werden. Oder ist es nicht verrückt, einen gut bezahlten, sicheren Job als Lehrerin aufzugeben, um auf der Straße zu tanzen? Zuerst einmal für drei Monate nach Buenos Aires zu gehen, in eine Stadt, die ebenso verrückt ist wie der Tango.

Die Nachmittage in Buenos Aires
Haben etwas, ich weiß nicht was
Verstehst du? Ich verlasse mein Haus
Und schlendere die Arenales-Straße entlang.
Immer dasselbe, in den Straßen und in mir
Als er plötzlich hinter diesem Baum erschien
Eine sonderbare Mischung aus dem letzten und einzigen Landstreicher
Und dem ersten blinden Passagier auf einer Reise zur Venus.

An den Nachmittagen in Buenos Aires mit 40 Grad und mehr, von den es viele gab, als wir dort waren, meinte ich auch manchmal Halluzinationen zu haben, wenn wir durch die Straßen mehr schlichen als schlenderten. Das Tangotanzen konnten wir trotz der Hitze nicht lassen. In den Tanzstudios gab es zwar Klimaanlagen oder Ventilatoren, aber oft waren sie auch kaputt. In einer der Tanzstunden bei unserem Lehrer Augusto Balizano fragte er, nachdem es am Vortag 47 Grad gehabt hatte:
„Wer hat gestern getanzt?“ Als wir uns meldeten, meinte er, wir seien verrückt – loco!

Das zeigt auch schon einen der Aspekte, warum dieser Tanz so verrückt ist. Wenn er eine gepackt hat, kann sie nicht mehr davon lassen. Ich weiß nicht, ob es die Musik ist, die besondere Art sich zu bewegen, das Fühlen und Spüren, was die Tanzpartnerin an Bewegungssignalen aussendet und diese zu interpretieren, das Versinken in eine andere Welt, … oder alles zusammen, das eine wie in einem Sog mitzieht und dem sie sich dann nur schwer entreißen kann. Seit wir vor ein bisschen mehr als zwei Jahren aus Buenos Aires zurückgekehrt sind, tanzen wir ungefähr fünfmal die Woche Tango und es wird nie langweilig. Einerseits ist die Welt des Tango Argentino unendlich, es gibt immer Neues zu lernen, andererseits ist dieser Tanz ein Improvisationstanz, das heißt jeder Tanz entsteht neu, je nach Musik, Stimmung, Können, Beziehung, … Und außerdem muss man auch ständig an den Basics arbeiten – der Körperhaltung, der bestimmten Art zu gehen, der Umarmung und der „Disociación“ (Verdrehung des Körpers). Ich weiß nicht, wie oft wir verzweifelten, weil wir das Gefühl hatten, wieder von vorne anfangen zu müssen. Mittlerweile ist es aber so, dass wir es schätzen, uns immer wieder auch mit diesen Grundelementen auseinanderzusetzen, weil sie ein besseres Körpergefühl geben.

Liebe mich, so wie ich bin
Verrückt, verrückt, verrückt …
Steig empor in diese wahnsinnige Zärtlichkeit, die ich in mir habe

In vielen Tangos wird die Liebe besungen, aber auch Schmerz, Trauer und Abschied. Auf alle Fälle geht es um große Gefühle. Darum geht es auch in einem Tangofilm, der gerade in den Kinos läuft: Ein letzter Tango. Eine Mischung aus Dokumentation und nachgespielten Szenen über zwei der großartigsten TangotänzerInnen aus Buenos Aires – Maria Nieves und Juan Carlos Copes. Dass mittlerweile auf der ganzen Welt Tango getanzt wird, ist zu einem großen Teil diesen beiden zu verdanken, denn durch ihre Art zu tanzen, wurde er wieder populär. Die beiden waren auch im Leben ein Paar, zunächst das Traumpaar. Mit der Zeit war ihre Beziehung dann aber von einer Hassliebe geprägt, wie sie verrückter nicht sein kann. Es gab unzählige Trennungen und Versöhnungen, bis zu jener Trennung, die endgültig war, weil Juan Carlos Copes eine um vieles jüngere Frau heiratete. Auf der Bühne tanzten sie zunächst dennoch gemeinsam, und Maria Nieves empfand dabei nichts als Hass. Die Eifersucht der jungen Frau machte jedoch auch diesen gemeinsamen Auftritten ein Ende. Jetzt sind beide über 80 und man spürt, wenn sie selber zu Wort kommen, die Verletzungen und Wunden, den Hass, der immer noch da ist, aber auch immer noch eine gegenseitige Anziehung und Achtung.

Liebe mich, so wie ich bin,
verrückt, verrückt, verrückt,
mach den Weg frei für die Liebe,
so dass wir die verrückte Magie des Lebens noch mal versuchen werden
Komm, flieg, komm, tra … lala … lara …

Wahrscheinlich muss man ein bisschen verrückt sein, wenn man sich der Tangoleidenschaft verschreibt. Und wenn man Tango mit Straßenkunst kombiniert, erst recht! Aber gelegentlich spielt sie eben verrückt – die Magie des Lebens.

Andrea

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