Hola,
gestern waren wir mal so richtig als Touristinnen unterwegs. Wie in vielen anderen Städten gibt es auch hier diese typischen Touristenplätze, an denen Klischees am Leben erhalten oder künstlich produziert werden – denkt nur an Wien und “Sisi”. Hier geht es natürlich um den Tango, besser gesagt um den Platz, an dem der Tango in Spelunken und Hafenkneipen seinen Anfang genommen hat. Das barrio “La Boca” ist der alte Hafen von Buenos Aires gewesen, in dem sich zuerst afrikanische Sklaven und ab 1880 viele ItalienerInnen, vor allem aus Genua, niedergelassen haben. Es war immer schon ein armes Viertel und die Menschen haben ihre Häuser aus den Materialen gebaut, die es am Hafen gab: Wellblechwände, die in bunten Farben (von den Schiffen?!) angemalt waren. Auch heute noch ist La Boca ein armes Viertel und bis auf jenen kleinen Teil, der touristisch vermarktet wird, ist es eine sehr gefährliche Gegend. Es wird dringend davon abgeraten den kleinen Touristenbereich zu verlassen – ein junges Paar aus Deutschland, das schon seit August hier ist, wurde beim Spaziergang in einer Seitengasse am helllichten Tag mit der Pistole bedroht und ausgeraubt. Aber keine Sorge, wir wussten ja Bescheid und außerdem waren wir mit Patricia und Nestor dort. Uns ist gleich nach der Ankunft aufgefallen, dass die beiden sich hier als unsere Bodyguards verstanden haben: Patricia ist vorangegangen, Nestor war immer knapp hinter uns, wenn wir stehengeblieben sind um uns umzuschauen oder zu fotografieren, haben sie gewartet … Es waren sehr viele Leute dort (obwohl das angeblich noch nicht viele waren, heute, Sonntag sei dreimal so viel los) und es war so richtig ein Touristenspektakel mit Verkaufsständen von “Kunsthandwerk” und Bildern (zum Teil sehr schön!), mit überteuerten, schlechten Restaurants, mit StraßenkünstlerInnen, die Folklore oder Tango präsentierten. Beim Tango gab es SängerInnen, dann Tanzpaare, die sich nur fürs Foto postierten und Tanzpaare, die von den Restaurants engagiert waren und die auf winzig kleinen Tanzflächen tanzten. Die bunten Häuser sind wirklich nett und die kleinen Hinterhöfe, in denen es jetzt Souvenirgeschäfte gibt, schauen schön aus. Wenn man sich dann aber vorstellt, wie die Einwanderfamilien hier auf engstem Raum gelebt haben, dann sieht die Sache schon wieder anders aus.
Das alte Hafenbecken ist schon längere Zeit nicht mehr in Betrieb und die alten Fabriken sind verfallen. Es waren hauptsächlich Lederfabriken (Rinderzucht in Argentinien, Einwanderer als billige Arbeitskräfte, … die Geschichte wiederholt sich immer wieder) und der Fluss dort ist tot, weil alle Abwässer der Fabriken hineingeleitet wurden.
Zu La Boca gehört natürlich auch der Fußball und auch wenn wir uns dafür nicht so interessieren, da kommt man nicht dran vorbei! Das Stadion der “Boca Juniors” ist mitten in die kleinen Straßen des Viertels hinein gebaut. Es wird La Bombonera, die Pralinenschachtel genannt, denn wegen Platzmangel sind die Tribünen extrem steil und reichen direkt bis ans Spielfeld. Es ist unvorstellbar, wie es sein muss, wenn “Boca” ein Spiel hat, Zehntausende durch diese Straßen ziehen und die Bombonera kocht. Und sogar nicht-Fußball-Fans wie wir haben gewusst, dass Diego Maradona von diesem Club gekommen ist.
Danach haben Patricia und Nestor uns quer durch die Stadt chauffiert und wir sind in das Designerviertel Palermo Soho gefahren. Gegensätzlicher hätten die Eindrücke dieses Tages nicht sein können! Hier gibt es auch kleine Straßen, die Häuser sind fast alle nur einstöckig und zum Teil sehr schön renoviert. Und es reiht sich ein Modegeschäft mit argentinischer Designermode neben das andere. Die Mode war sehr interessant, weil sie ganz anders ist, als das, was man in Europa unter “Designerstücken” versteht. Mindestens gleich interessant fand ich die Geschäftsräume: jeder war anders gestaltet, die alten Räumlichkeiten wurden mit modernen Elementen ergänzt und beeindruckend gestaltet. Einige gaben den Blick frei auf kleine, üppig grüne Innenhöfe. Außer den Geschäften gibt es unzählig viele Lokale. Die meisten haben die Tische am Gehsteig und es war zum ersten Mal, seid wir hier sind, dass es nette Plätze zum Draußen-Sitzen gab. Auch hier waren sehr viele Leute, aber die Stimmung war ganz anders als in La Boca. Wie Andrea im letzten Bericht schon geschrieben hat, wurden wir an den Prenzlauer Berg in Berlin erinnert. Auch dort sind die alten Häuser revitalisiert, es gibt viele Lokale und interessante Geschäfte.
Und zum Abschluss des Tages haben wir ausgesprochen gut gegessen! Patricia und Nestor haben uns in eines ihrer Lieblingslokale geführt, wo sie auch gleich als Stammgäste herzlich begrüßt wurden und wir dadurch überhaupt einen Tisch bekommen haben. Dort gibt es Grillspezialitäten, aber nicht nur, dass das Fleisch sehr köstlich war, es gab dazu ca. 15 – 20 verschiedene kleine Schälchen mit Saucen, Beilagen und Salaten. Wir müssen jetzt also endgültig unser Urteil über die Küche in Buenos Aires zurücknehmen und feststellen, dass wir bisher beim Essen gehen entweder Pech hatten oder eben einfach nicht gewusst haben, wo es wirklich gut schmeckt. Allerdings eine Feststellung bleibt: wenn du gut essen willst, dann musst du hier Fleisch bestellen; alles andere, inklusive Pasta, ist nicht nach unserem Geschmack.
Morgen fahren wir, wie schon angekündigt, für vier Tage nach Uruguay. Mal sehen, wie es auf der anderen Seite des Rio de la Plata so ist. Außerdem brauchen wir eine kleine Pause von Buenos Aires – und dem Tango.
Sigrid