Auf ihrer musikalischen Weltreise hat Andrea uns im letzten Blogartikel auch nach Bukarest entführt und mit ihren Erzählungen sind wir eingetaucht in das „Paris des Ostens“ als Tangometropole der 1920er und 1930er Jahre. Die Tangos auf der CD Bucharest Tango werden von Oana Catalina Chitu in rumänischer Sprache gesungen und wir tanzen nicht nur seit vielen Jahren gerne zu diesen Stücken, sie haben uns schon bei unseren ersten Auftritten als Straßenkünstlerinnen im Jahr 2014 begleitet. Und gerade im öffentlichen Raum haben diese Tangos in rumänischer Sprache zu überraschenden und berührenden Begegnungen geführt, die uns erfreut und zugleich nachdenklich gemacht haben.
Am Ufer des Donaukanals im Juli 2014 zum Beispiel haben sich zwei junge Frauen an der Kaimauer niedergelassen und uns lange Zeit zugeschaut. In einer Pause haben sie uns angesprochen und wollten gleich mehr über den Tango Zaraza, zu dem wir gerade getanzt hatten, wissen. Eine der beiden war nämlich aus Rumänien und studierte damals in Wien. Sie war überrascht und hocherfreut einen Tango in ihrer Muttersprache zu hören. Etwas schüchtern erzählte sie dann, dass sie selbst begonnen habe, Tango zu tanzen und fragte, ob ich mit ihr tanzen würde. So tanzte ich mit ihr zu Zaraza und es war deutlich zu spüren, wie viel ihr dieses Erlebnis bedeutete. Auch für uns war es eine der ersten intensiven Begegnungen mit unserem Publikum – ausgelöst durch diesen Tango in rumänischer Sprache.
Im Sommer 2015 gab ein anderer Tango jener CD den Impuls, unsere Auftritte zu verändern und neben dem Tanz auch mit Gesten und Mimik und mit Requisiten zu spielen. Es war das Stück Aprinde o tigara, der wie so viele Tangos von einer unglücklichen Liebe erzählt und in dem das Rauchen einer Zigarette Trost spenden soll. Nun, wir ließen uns nicht vom ganzen Text, sondern nur vom Titel inspirieren und machten daraus die erste Version unserer „Zigarrennummer“. Das Echo darauf war bei jedem Auftritt groß und somit war der Anfang für unsere wo/men tango acts gemacht: Wir entwickelten eine Geschichte, bestehend aus mehreren Tangos inklusive Aprinde o tigara. Andrea schlüpft darin in die Rolle des reichen Gutsbesitzers Andres, der am Bahnhof wartend Zigarre raucht …
Als dieser wo/men tango act im Mai 2016 am Hackeschen Markt in Berlin Premiere hatte, dauerte es nicht lange, bis der Tango in rumänischer Sprache erneut zu überraschenden Begegnungen führte. Einmal war da ein Mann im Publikum, dem äußeren Anschein nach ein Obdachloser, einfach gekleidet und sehr verschüchtert in seiner Art. Dennoch kam er in der Pause auf uns zu und sagte mehrmals „Rumänien“. Wir bestätigen, dass da wirklich ein Tango in rumänischer Sprache dabei war und er strahlte. Dann bat er um ein wenig Geld und wir gaben ihm ein paar Münzen aus unserem Koffer. Ein andermal wartete eine Musikgruppe bis wir mit unserem Auftritt fertig waren, damit sie den Platz bespielen konnten. Auch sie waren aus Rumänien und haben den rumänischen Tango gleich erkannt. Leider konnten sie selbst keinen Tango spielen, sonst hätten wir zu ihrer Livemusik tanzen können. Wir begannen zu überlegen, warum diese Männer so berührt waren und meinen, dass es daran liegt, im öffentlichen Raum ihre Muttersprache zu hören. Sprache hat ja sehr viel mit Identität zu tun. Und diese Menschen leben mitten unter uns, sprechen mehr oder weniger gut unsere Sprache, aber hören ihre Sprache nur im privaten Umfeld. Ähnliche Erlebnisse hatten wir auch im Augartenpark in Graz, wo wir im Juni zweimal aufgetreten sind. Der Park war an jenen lauen Sommerabenden voller Leben, Kinder spielten, ganze Familien waren mit den Fahrrädern unterwegs, viele machten es sich auf den Parkbänken gemütlich. Es hatte den Anschein, als wäre der Park für einige von ihnen das Wohnzimmer, denn als wir zum zweiten Auftritt kamen, saßen die gleichen Männer auf den gleichen Bänken wie einige Tage zuvor. Einmal kam ein kleiner Junge zu uns und fragte, ob wir aus Rumänien seien. Er war ganz erstaunt, als wir verneinten und meinte: „Aber das war ja rumänisch!“ Dann eilte er zu dem Mann zurück, der auf der Bank saß. Dieser blieb bis zum Ende unserer Aufführung sitzen und als wir unsere Requisiten zusammenpackten kam er zu uns, bedankte sich und gab uns eine 2-Euro-Münze. Wir waren höchst überrascht, nicht nur darüber, dass er direkt auf uns zugekommen ist, sondern auch, dass er so großzügig war. Scheinbar haben wir uns gegenseitig beschenkt …
Die berührendste Begegnung ausgelöst durch den Tango in rumänischer Sprache hatten wir aber im Herbst an der toskanischen Küste. In Italien leben ja viele Menschen aus Rumänien, weil ihre Sprache dem Italienischen sehr ähnlich ist und es für sie deshalb leichter ist, in diesem Land Fuß zu fassen. Wie überall in Europa leben sie, obgleich EU-BürgerInnen, aber auch dort am Rande der Gesellschaft und verrichten jene Arbeiten, die nicht viel wert und daher schlecht bezahlt sind. Bei unserem ersten Auftritt in Forte dei Marmi sind wir zu früh dran und daher sind noch sehr wenige Menschen unterwegs. Auf dem Platz, den wir als Auftrittsort gewählt haben, steht ein Brunnen, bei dem immer wieder Menschen Wasser holen. So auch eine ältere Frau, die gleich mehrere Kanister anfüllt und uns währenddessen zuschaut. Nach dem Stück kommt sie auf uns zu und wir sehen, dass sie Tränen in den Augen hat. Sie bedankt sich in einer Mischung aus Italienisch und Rumänisch und gibt uns einen 5-Euro-Schein. Wahrscheinlich arbeitet sie in einem der Hotels, sicher hat sie nicht viel Geld, und dennoch will sie uns diesen Schein unbedingt geben. Sie war berührt, so unerwartet ihre Sprache an jenem Platz zu hören, an dem sie wohl immer wieder Wasser holt. Auch wir sind tiefberührt und reich beschenkt. Das sind die Momente, in denen wir voll Dankbarkeit sind für die Erlebnisse als Straßenkünstlerinnen!
Nun, ein Tango in rumänischer Sprache hat den letzten Sommer begleitet. Seine Sprache hat Menschen berührt, die fern ihrer Heimat in einem anderen Land leben und dort ihr Glück suchen. So schließt sich der Kreis und die Weltreise des Tangos führt uns zurück nach Buenos Aires, wo er entstanden ist unter Menschen, die ihre Heimat verlassen hatten auf der Suche nach einem besseren Leben. Vor mehr als hundert Jahren in Buenos Aires, heute mitten unter uns. Die Melodien des Tangos sprechen von Sehnsucht und Hoffnung, egal ob auf Italienisch, Spanisch oder eben in rumänischer Sprache. Und rühren die Menschen an, berühren ihre Herzen. Und wir als Straßenkünstlerinnen sind Gebende und Nehmende zugleich!
Sigrid