Per Bahn und Schiff nach New York

Vielleicht gehört es zum Wesen eines Traums, dass man irgendwann nicht mehr weiß, wie er begonnen hat. Auch wir erinnern uns nicht mehr an den ersten Gedanken, die erste Idee, die ursprüngliche Emotion, die den Wunsch geboren haben, mit einem Schiff über den Atlantik zu fahren. Und wie jeder Traum hat auch dieser Reise-Traum viele Facetten:

Zum einen ist es die faszinierende Vorstellung tagelang mitten am Ozean zu sein, sich den Elementen und Gezeiten auszusetzen, den Wechsel von Sonnenaufgang und -untergang zu erleben, in alle Himmelsrichtungen von Wasser umgeben zu sein. Mehr Meer geht nicht und selbst die heutigen, hochtechnisierten Schiffe sind letztendlich nur eine Nussschale in der Weite des Atlantiks. Wie sich das tatsächlich anfühlt, werden wir in wenigen Tagen wissen – morgen jedenfalls gehen wir in Southampton an Bord der Queen Mary 2.

Für uns ist es ein Abenteuer mit gesichertem Rückflugticket, für Millionen von Menschen war es der Aufbruch in ein neues Leben. Auf den Spuren dieser Menschen unterwegs zu sein, ist für mich eine weitere Facette dieser Reise – nicht romantisch und beschönigend, sondern fasziniert davon, dass Menschen den Mut hatten, sich zuerst die Frage zu stellen, wie sie leben möchten und dann aufzubrechen in eine ungewisse, aber bessere Zukunft.

Allein in den Jahrzehnten zwischen 1780 und 1850 wagten knapp 4 Millionen Menschen die Überfahrt – damals noch auf Frachtschiffen mit katastrophalen Bedingungen. Sie kamen aus Irland und Deutschland, Schottland und Italien und später auch aus Mittel- und Osteuropa, manche auf der Flucht vor Verfolgung und alle auf der Suche nach einem besseren Leben. In den Vereinigten Staaten und in Kanada wurden sie freundlich aufgenommen, denn Nordamerika brauchte dringend Arbeitskräfte und bereits 1783 hatte Benjamin Franklin diese Haltung zum Ausdruck gebracht: Die einzige Aufmunterung, die wir Fremden angedeihen lassen, sind gute Gesetze, Freiheit und ein herzliches Willkommen. Fast alle gingen in New York an Land und so dauerte es nicht lange, bis NYC zur Stadt der Einwanderung wurde – von 1870 bis 1915 verdreifachte sich dort die Zahl der Einwohner*innen.

In der zweiten Hälfte des 19. Jhd. verkehrten sogenannten Liner, gewöhnliche Post- und Handelsschiffe, die auch Emigrant*innen mit nach Übersee nahmen, jeweils auf bestimmten Routen über den Atlantik. Ab 1871 wurden diese Linienschiffe komfortabler, die Reedereien traten regelrecht in einen Wettbewerb und versuchten sich gegenseitig zu überbieten – die Schiffe wurden größer, luxuriöser und schneller. Das große Geld machten sie nach wie vor mit den Massen in der 2. Klasse, das Prestige brachte die Ausstattung der 1. Klasse, sodass sie zurecht als schwimmende Luxushotels bezeichnet wurden. Die White Star Line, die Cunard Line und die Hamburg-Amerika-Line haben in diesem Wettstreit den Ton und das Tempo vorgegeben – letztere schaffte die Überfahrt im Jahre 1900 in nur 5 Tagen und 15 Stunden.

Wenn wir morgen mit der Queen Mary 2 in See stechen, dann muss es wohl auch eine erste Queen Mary gegeben haben. Sie galt und gilt nicht nur ihres Namens wegen als die Königin der Meere, mit ihr den Atlantik zu überqueren war herausragend – eine kanadische Schauspielerin meinte lapidar: Wann kommt dieser Ort in New York an?

Ab 1936 war sie als Linienschiff unterwegs, bis Mitte der 1960er die Luftfahrt das Reisen mit dem Schiff ablöste und sie 1967 ein letztes Mal den Weg zurück nach Europa antrat. Heute ist die Queen Mary 2 von Cunard das einzige Linienschiff im Nordatlantik und es knüpft bewusst an die Geschichte dieser Glanzzeit der Seereisen an. Und ja, damit sind wir bei einer weiteren Facette unseres Traumes angelangt – wir lieben stilvolles, luxuriöses Reisen.

Dazu gehört für uns auch das Reisen mit der Bahn und so war klar, dass wir den Weg nach Southampton so zurücklegen wollen, wie in früheren Zeiten. Das langsame Unterwegssein hat also schon gestern früh direkt an unserer Wohnungstüre begonnen, am Abend erreichten wir den wunderschönen Frankfurter Hauptbahnhof.

Heute ging es weiter über Brüssel nach London, wo wir an der St. Pancras International Station angekommen sind. Einer Pilgerreise gleich endet also jeder Reisetag in einer Kathedrale, wie Jaroslav Rudiš sagt, in einer Kathedrale des Reisens, und es war tatsächlich ein erhebendes Gefühl unter diesem Gewölbe aus Stahl zu stehen .

Bleibt für morgen nur noch das kurze, letzte Stück von der Victoria Station nach Southampton, zu jenen Docks, die sich schon in den Tagen der Atlantic Liner als The Gateway to the world bezeichnet haben.

Sigrid

Verwendete Literatur:
Reisen, Die illustrierte Geschichte, DK London/Dehli, München 2018

18 Gedanken zu „Per Bahn und Schiff nach New York“

  1. Liebe Sigrid, liebe Andrea,
    wir wünschen euch eine spannende und erlebnisreiche Reise mit vielen neuen Impulsen, Inspirationen und Erfahrungen. Es ist unerheblich, wie euer Wunsch entstanden ist – ihr lebt ihn, das allein zählt und ist großartig! Genießt den Luxus und lasst uns weiterhin ein wenig an diesem Schillern und Glitzern teilhaben. Vielen Dank dafür.
    Ulrike und Magdalena

    1. Danke für eure lieben Wünsche! Als wir die letzten beiden Tage im Zug unterwegs waren, kam mir der Gedanke, dass gerade dieses Zeit haben für eine langsame Reise schon ein großer Luxus ist – und ja, wir nehmen ihn uns! Gerne werden wir euch in den nächsten Wochen an unserer Reise teilhaben lassen. Liebe Grüße, Sigrid und Andrea

  2. Liebe Andrea, liebe Sigrid, es ist ein riesen Geschenk euch begegnet zu sein und ich kann euch nur immer wieder danken. Gerade die letzten Tage ist mir so sehr bewusst geworden, welch besondere beglückende Qualität jede Begegnung jeder Post von euch. Alles Gute und schönes weiter strahlen und genießen. Gabriele

  3. Veronika und Gerhard

    Liebe Andrea, liebe Sigrid, habt eine wundervolle Zeit! Wir wünschen euch eine ruhige Überfahrt, viel Spannendes und Neues, mögen eure Wünsche in Erfüllung gehen! Ganz liebe Grüße aus dem niederösterreichischen Nebel 😉 G&V

    1. Danke für eure lieben Wünsche! Wir sind bereits mitten im Ocean, ganz ruhig ist es nicht, aber wir sind nicht seekrank. Und der Horizont verschwindet heute auch im Nebel – wie bei euch.

  4. Anneliese Heilinger

    Juchuuuu! Eine Luxusreise in jeder Hinsicht! 😊
    Danke, dass ihr uns daran teilhaben lasst.
    Ich nehme an, ihr kleidet euch auf dem Schiff auch den Situationen entsprechend und schickt uns mal ein Foto. Ich sehe grad Andrea im eleganten nostalgischen Kleid vor mir und Sigrid im feschen, etwas frechen Anzug. Und: Einen Tango wird man ja von der Bordkapelle erwarten können. 😉
    Mögen euch meine innigen Umarmungen begleiten.💚💙💜
    Genießt, genießt!
    Herzliche Grüße, Anneliese

  5. Was für eine großartige Idee und Reise! Alles Gute und viele schöne Stunden und Eindrücke. Und dann wärs super wenn wir das Projekt „Landhauskeller“ doch einmal schaffen. Herzlichen Gruß! Martina

  6. Ihr zwei Lieben,

    „stilvolles, luxuriöses Reisen“, was für tolle Stichworte ihr eurem Abenteuer gegeben habt! Gratulation zu vielen schönen gemeinsamen Augenblicken und Abenteuern,

    herzlich
    Monika und Robert

  7. Eben auf der Rückreise von Basel nach Wien kann ich Eure Zugreiselust überaus gut nachempfinden! Kaum bin ich zuhause, fällt mir schon das nächste Ziel ein! Egoistischerweise stelle ich jedoch fest, dass mir Euer Tangounterricht fehlt!
    Dennoch: habt es fein und „trinkt, oh Augen, was die Wimper hält, von dem goldenen Überfluss der Welt“(Gottfried Keller)

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