Eine (Tango) Reise nach Hamburg

Seit vielen Jahren steht Hamburg ganz oben auf unserer imaginären Liste jener Orte, die wir entdecken möchten. Nun war es endlich soweit und wir verbrachten ein Wochenende in dieser tollen Stadt – ganz privat, also ohne einen Kurs oder Workshop, aber nicht ohne Tango! Wenn Tangotanzende verreisen, sind die Tanzschuhe mit dabei, denn in beinah jeder europäischen Stadt gibt es Milongas und ein Blick in den jeweiligen Tangokalender genügt, um fündig zu werden. Doch dazu später, erst mal heißt es Ankommen in Hamburg.

Trefflicher hätte unsere Ankunft nicht sein können, denn Hamburg begrüßte uns mit dem sprichwörtlichen Schietwetter: kalt, windig und nass. Dennoch machten wir uns gleich auf den Weg mitten hinein in die Altstadt und somit in jenen Teil, in dem wir das Gefühl hatten, dem Wesen dieser Stadt sehr nahe zu kommen: an die Binnenalster, den Jungfernstieg, durch die Alsterarkaden flanierend mit dem Blick auf das mächtige Rathaus. Tatsächlich ist dieses große Gebäude ein Symbol der Macht. Diese obliegt der Hamburgischen Bürgerschaft, die hier im großen Plenarsaal tagt und ohne die in Hamburg gar nichts geht, denn seit Jahrhunderten gehören Freiheit und Selbstbestimmung zum hanseatischen Selbstverständnis. Heute ist die Bürgerschaft ein gewähltes Stadtparlament, früher hatten die mächtigen Kaufleute das Sagen. Im nahegelegenen Café Paris entdeckten wir dann auch ein Mosaik, das zeigt, wodurch die Hansestadt Macht und Reichtum erlangt hatte:

In diesem Café aus dem Jahr 1882 und auch in den umliegenden Gebäuden, in prunkvollen Einkaufspassagen, Spezialgeschäften wie dem Marine- und Tropenausstatter Brendler, Modegeschäften mit eleganter Seemannskleidung, Kunsthandel und natürlich einer Passage mit den Top-Modemarken ist zu erkennen, dass hier das Geld zu Hause ist – jedoch ganz hanseatisch, also nicht aufdringlich und schreiend, sondern elegant und fast ein wenig versteckt.

Doch nun war es höchste Zeit weiter zu gehen, immer dem Wasser, den Fleeten, also den Kanälen entlang, hinunter zur Elbe, wo seit Jahrhunderten Handel und Schifffahrt betrieben werden. Wir flanieren an der Hafenkante und entlang der Landungsbrücken, vorbei an Museumsschiffen und Anlegern für Hafenrundfahrten, viel Getümmel und nach altem Fett riechenden Imbissbuden und wissen gleich: das ist nicht unser Platz in Hamburg! Also schnell weiter Richtung Hafen-City, dem neu entstehenden Stadtteil, umstritten und geliebt, noch immer Großbaustelle und dennoch reizvoll in seiner Symbiose von alt und neu. Und schon stehen wir vor der Elbphilharmonie – jenem Gebäude, an dem sich die Geister seit Jahren scheiden: beurteilt man es nach den horrenden Kosten, den peinlichen Missgeschicken während des Baus, der angeblich unübertrefflichen Akustik in den Konzertsälen oder der architektonischen Schönheit? Genau diese Schönheit fasziniert uns sofort und wir haben Glück und gelangen ohne Warteschlange auf die Plaza, jenen frei zugänglichen Balkon am Übergang des Backsteinbaus und der neuen Glasarchitektur. Ja, der Ausblick auf den Hafen ist spannend, aber das Gebäude selbst ist es noch viel mehr! Angelehnt an Stefan Sagmeister, der meint Schönheit ist zutiefst ein Teil von uns würde ich sagen, die Schönheit der Elbphilharmonie ist zutiefst ein Teil von Hamburg.

Doch Ästhetik und Schönheit finden sich nicht nur in modernen Gebäuden, die der Kunst dienen. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden auch Zweckbauten nicht nur funktionell, sondern schön gebaut, auch solche, die für die arbeitende Bevölkerung gedacht waren. Zu recht, denn all der Reichtum, den Schifffahrt und Handel – nicht nur in Hamburg – den Bürgerinnen und Bürgern, den Kaufleuten und Reedereien brachten und bringen, braucht Arbeiterinnen und Arbeiter. Diese Menschen lebten damals am Nordufer der Elbe, die Werften und Fabriken lagen und liegen auch heute noch am Südufer. So wurde 1911 ein Elbtunnel gebaut, durch den die Menschen zur Arbeit gelangen konnten. Heute wird dieser Alter Elbtunnel genannt und gilt ob seiner Einmaligkeit und Schönheit als Highlight von Hamburg. Wie damals fährt man auch heute mit einem Aufzug 23 Meter hinab und gelangt in den 426 Meter langen Tunnel. Es ist ein eigenartiges Gefühl unter der Elbe zu spazieren und am anderen Ende wieder per Aufzug hochzufahren, sich tatsächlich in einem Industriegebiet wieder zu finden – mit herrlichem Blick auf das Nordufer.

Am nächsten Tag machten wir uns auf nach Altona, um die FrauenFreiluftGalerie zu suchen und somit wieder auf den Spuren der Arbeiterinnen zu wandeln. In der Tradition der sozialkritischen Wandgemälde eines Diego Rivera im Mexico City der 1920er Jahre entstand in der Großen Elbstraße eine Straßengalerie zur Frauenarbeit in Hamburg, auf denen die Geschichte der Hafenarbeiterinnen, ihre Arbeitsbedingungen in den Fischfabriken aber auch ihr Prostest gezeigt werden. Mittlerweile sind weitere Wandbilder hinzugekommen, die die Arbeitswelt von Frauen heute zeigen – und nicht weniger nachdenklich machen.

Wir bleiben noch in Altona und ich komme endlich zurück auf den Tango! Um auf eine Milonga zu gehen, mussten wir nämlich nicht im Tangokalender nachschauen, sondern wir kündigten unseren Besuch bei einigen Hamburgerinnen, die schon mehrmals an unseren Kursen teilgenommen haben, an. Sie wählten eine Milonga von Tango Orange in Altona, auf der wir als kleines Grüppchen von sieben Frauen auftauchten und einen tollen Tanzabend genossen haben. Tags darauf verabredeten wir uns zum Schuhe kaufen – klar, zum Tanzschuhe kaufen – im Dance Affairs, wieder in Altona. Wir haben nicht nur die passenden Schuhe gefunden, sondern hatten richtig Spaß!

An unserem letzten Tag in Hamburg gab es strahlenden Sonnenschein – bei eisiger Kälte. Dennoch zog es uns erneut ans Wasser. Wir fuhren mit den Hafenfähren (in Hamburg gibt es tatsächlich noch öffentlichen Linienschiffsverkehr!) die Elbe weit hinunter bis Finkenwerder. Und auch hier sahen wir wieder jene zwei Seiten, die Hamburg prägen: elegante, vornehme Villen am Nordufer und den riesigen hypermodernen Containerhafen am Südufer.

Wieder auf festem Boden spazierten wir durch die Speicherstadt und waren erneut an einem Ort, der für den Handel und somit die Entwicklung Hamburgs von enormer Bedeutung war. Diese alten Backsteinbauten, auf der einen Seite am Wasser liegend, um Gewürze, Teppiche oder Tee über Seilwinden unter den Giebeln direkt in die Lagerhallen zu verfrachten, hatten eine klare Funktion als Lagerhallen – und haben bis heute eine faszinierende Schönheit. Ja, ich weiß, ich wiederhole mich, also lasse ich wieder einige Bilder sprechen.

Bevor wir am Sonntag Abend in den Nachtzug stiegen, kehrten wir nochmal zurück an die Binnenalster und wurden zum Abschied mit jenem wunderbaren Anblick beschenkt, den wir als Titelbild ausgewählt haben. Und da wussten wir, dass wir ein kleines Problem haben, denn wir können Hamburg unmöglich abhaken und von unserer Reise-Wunschliste streichen!

Sigrid

2 Kommentare zu „Eine (Tango) Reise nach Hamburg“

  1. Es freut mich sehr, dass auch euch Hamburg so begeistert hat wie mich schon 2x!
    Auch ich werde Hamburg nicht so schnell als, erledigt abhaken!

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