Kürzlich ist unsere erste Tangowoche für Frauen, veranstaltet vom Berliner Reiseunternehmen WomenFairTravel, zu Ende gegangen. WomenFairTravel hat pro Jahr ca. 200 Reisetermine weltweit im Programm und beschreibt sich selbst wie folgt: Wir veranstalten sinnliche, ökologische und faire Gruppenreisen für Frauen, von denen einige einzigartig auf dem touristischen Markt sind. … Sie sollen vor allem intensive Reiseeindrücke und authentische Begegnungen mit anderen Frauen ermöglichen und viel Spaß machen! … Die Frauen im Blick zu haben liegt uns im Sinn. Überall auf der Welt. WomenFairTravel – Reisen für Frauen mit Weitblick!
In den letzten Wochen hat die Ankündigung dieser Frauenreise unter anderem auf unserer Facebookseite für Diskussionen gesorgt. Ist es am Beginn des 21. Jahrhunderts überhaupt noch notwendig eigene Frauenreisen anzubieten? Oder ist es nicht sogar diskriminierend, wenn sich das Angebot ausschließlich an Frauen richtet? Ich denke, diese kritischen Fragen spiegeln wider, dass das Verhältnis von Männern und Frauen im Moment recht angespannt und vielleicht erneut im Umbruch ist. Vor dieser Reise haben wir geantwortet, dass es schon erstaunlich ist, dass diese eine Tangowoche nur für Frauen neben unseren vielen anderen Reise- und Workshopangeboten, die für alle offen sind, ein Problem darstellt. Gerade über Silvester fühlen sich zum Beispiel allein reisende Frauen in Hotels nicht immer ganz wohl. Jetzt, nach der Reise, weiß ich einmal mehr, wie schön und wertvoll es ist, immer wieder einmal reine Frauengruppen zu erleben! Da geht es aber wie so oft im Leben nicht um „besser“ oder „schlechter“, nicht darum, sich von Männern abkapseln zu wollen, sondern einfach darum, für eine bestimmte Zeit diese Form der Begegnung unter Frauen erleben zu können.
Natürlich ist auch immer wieder die Frage aufgetaucht, wie es denn überhaupt möglich wäre, ohne Männer einen Tangokurs zu veranstalten. Ganz einfach, indem Frauen die führende und die folgende Rolle lernen und tanzen. Die Motivationen dafür sind sehr breit gefächert. Da gibt es zum einen jene Frauen, die auf den Milongas in ihrer Stadt fast den ganzen Abend herumsitzen und darauf warten, wenigstens einige Male zum Tanzen zu kommen. Die Tangoszene ist mancherorts recht konservativ und da wird es nicht immer gerne gesehen, dass eine Frau einen Mann zum Tanz auffordert. Wir kennen einige Frauen, für die dieses Warten so frustrierend war, dass sie aufgehört haben, Tango zu tanzen. Wenn diese Frauen nun die Rolle der Führenden lernen, dann können sie ihre Tangoleidenschaft leben. Doch es gibt auch ganz andere Gründe, warum Frauen das Führen lernen wollen. Eine Teilnehmerin in diesem Kurs meinte am Beginn der Woche, sie wolle das Führen einfach ausprobieren, weil sie spürt, dass es da eine Seite in ihr gibt, die gelebt werden will. Am Ende des Kurses war es unglaublich zu sehen, wie schnell und wie großartig sie sich in dieser Rolle zurecht gefunden hat! Es war eine Freude, ihr beim Tanz zuzusehen und frau könnte glauben, dass sie das Führen schon jahrelang macht. Sie war dann selbst auch ganz begeistert und erfreut über das, was sie bei sich entdeckt hat. Einige Teilnehmerinnen haben immer wieder die Rollen getauscht und wollten das Führen und Folgen (kennen)lernen, um so das Wesen des Tangos noch besser verstehen zu können. Unser Verständnis von Führen und Folgen auf Augenhöhe hat dies wohl erleichtert und wurde von den Frauen sehr geschätzt. Eine andere Teilnehmerin wiederum wollte in ihrer gewohnten Rolle als Folgende bleiben, weil sie im Alltag als alleinerziehende Mutter und in ihrer beruflichen Selbständigkeit stets die Führende ist und daher im Tanz den Ausgleich sucht. Eine kleine Episode während des Tanzens zeigt, was für sie dabei wichtig ist: Als ich einmal mit ihr tanzte und sie mit einem neuen Schritt noch nicht sofort klar gekommen ist, wollte sie das korrigieren. Ich sagte ihr, das sei nicht notwendig, es sei meine Aufgabe als Führende daraus eine neue Möglichkeit zu finden. Und sie war ganz glücklich und meinte wie schön es sei, einmal die Verantwortung ganz abgeben zu können.
Ganz automatisch war dieser Kurs also auch ein Nachdenken über die Rollen im Tango und ein Experimentieren mit den Rollen als Führende und Folgende. Und als wir im Thementeil Mujeres y Tango die Geschichte der Frauen im Tango, also „Herstory“ erzählten und zur Musik von Komponistinnen, Sängerinnen und Frauentrios tanzten, war das besonders intensiv für uns alle.
Neben diesen Erfahrungen im Tanz war auch das Zusammensein als Gruppe von 32 Frauen (mit den Teilnehmerinnen des Feldenkrais-Kurses) in diesem Seminarhaus äußerst angenehm. Es gab diese vielen, authentischen Begegnungen, Gespräche mit interessanten Frauen, die von ihrem jeweiligen Lebenshintergrund her ganz unterschiedliche Sicht- und Denkweisen einbrachten, es gab eine Woche lang eindeutig eine frauengerechte Sprache und es gab viel Spaß – so, wie WomenFairTravel es beschreibt. Dass wir in dieser Woche vom Koch des Hauses, also von einem Mann, mit köstlichem Essen versorgt wurden, bringt den Rollentausch auf einer anderen Ebene nochmals ins Spiel! Ist doch schön, wenn die Rollenbilder einmal mehr aufgebrochen werden!
Nun, unsere Kooperation mit WomenFairTravel wird auch 2018 weiter bestehen bleiben und die nächste Silvester-Tangoreise für Frauen ist bereits fixiert. Nach dieser wunderbaren Woche freuen wir uns schon jetzt darauf!
Sigrid