Entstehung und Entwicklung des Tangotanzes Teil 2

Hier folgt nun die Fortsetzung der Tanzgeschichte ab dem goldenen Jahrzehnt, der Hochblüte des Tango Argentino in Buenos Aires. Auch diesmal zitiere ich wieder aus dem Buch Tango, eine heftige Sehnsucht nach Freiheit von Gloria und Rodolfo Dinzel.

Vierte Epoche (ca. 1940 – 1950)
In dieser Zeit wird der Tango zum Tanz der Massen. Es gibt eine quantitative, aber keine qualitative Entwicklung. Der Tango war bereits zu seiner klassischen Form gelangt und in allen sozialen Schichten verbreitet. Er ist daher weniger durch neue Techniken oder Bewegungen gekennzeichnet, als durch sein gesellschaftliches Milieu. Je höher die Sozialschicht, umso schlichter wurde der Tango getanzt. Geleitet vom Wunsch, mittels der Tango-Symbolik einen sozialen Aufstieg zu erreichen, bemühten sich alle um seine Vereinfachung und die große Mehrheit passte sich dieser Tendenz an. Doch es gab daneben auch große Tänzer*innen, die in jedem Tango eine Synthese seiner ganzen Entstehungsgeschichte suchten, und es erhielt sich mancher Winkel, in dem weiterhin in großer Vielfalt getanzt wurde. Schließlich bedeutete diese Periode für den Tango einen enormen Aufschwung hinsichtlich seiner Verbreitung durchs Radio, auf Schallplatten und im Film. In keinem Jahrzehnt wurde so viel Tango komponiert, getanzt und verfilmt wie in diesem.

Fünfte Epoche (ca. 1950 – 1955)
Nun kommt es noch einmal zu einer Weiterentwicklung des Tanzes, indem neue Bewegungsmöglichkeiten mit dem Abheben der Füße vom Boden dazukommen. Es entstanden Ganchos (Haken) und Voleos (Beinschleuderer). Bei dem einen verhaken sich die Beine der beiden Tanzenden ineinander, wobei sowohl die Frau beim Mann einhaken kann, als auch der Mann bei der Frau. Beim zweiten Element gibt es auch für beide Rollen die Möglichkeit ihre Beine während des Tanzes linear oder zirkular fliegen zu lassen. Für beides wurde eine Tanztechnik entwickelt, beides kann geführt werden, Voleos können aber auch von einer Person selbständig in den Tanz eingefügt werden. Durch die Improvisation bestand die Möglichkeit, diese Elemente auszuführen, wann es den Tanzenden passend erschien, sofern der Raum und die Zeit hierfür zur Verfügung standen. Dieses Abheben der Füße und Beine vom Boden ist wohl die letzte Neuerung bezüglich der Tanzelemente des Tangos in diesem Jahrhundert.

Sechste Epoche (ca. 1955 – 1980er Jahre)
In dieser Periode gewinnt die künstlerische Darbietung an Bedeutung. Der Tango, im Volk entstanden, erfährt einen kulturellen Aufstieg, indem er von dort aus auf die Bühnen gelangte. Es entstanden Tangoshows bzw. abendfüllende szenische Darstellungen. Eine der bedeutendsten in den 1980er Jahren nannte sich schlicht und einfach Tango Argentino und ging weltweit auf Tournee. Diese Aufführung löste vielerorts einen Tangoboom aus und es wurde auch in Europa wieder sehr populär Tango zu tanzen. Es entstand eine Ausprägung des Tanzes, die man internationalen Tango nannte. Dieser wies eigene, besondere Charakteristika auf. Auch wenn das Paar umarmt blieb, war die Haltung der Körper doch vollkommen verschieden. Es wurde mit Grundschritt und einer begrenzten Zahl von Figuren und auf eine dem Walzer ähnliche Weise getanzt.  
In der Folge kehrte der Tango allerdings in einem umgekehrten Prozess immer wieder von den Bühnen zum Volk zurück und füllt heutzutage in Buenos Aires und weltweit die Tanzlokale. Das ist wohl auch einer der Gründe, warum ihm das Schicksal der Erstarrung erspart blieb.

Tango Nuevo ab den 1980er Jahren
Hier beginne ich mit einem Zitat des Tänzers Gustavo Naveira: Man kann als Tango Nuevo die Phase nach 1980 erachten, in der der getanzte Tango technisch und künstlerisch seine höchste Entwicklung erreichte.
Auch dabei werden vollständig improvisierte, jedoch führbare Schritte auf der Basis der Tanzschritte des klassischen Tango Argentino getanzt. Es geschieht aber ein bewusstes Öffnen der Tanzhaltung. Das Spiel mit dem Abstand, sogar ein voneinander Wegdrehen kann es geben, ermöglicht Positionen neben- oder hintereinander. Es werden außerdem Elemente aus dem Bühnentango adaptiert. Charakteristisch sind Elemente, die mit der Aufgabe der Achse spielen wie z.B. Colgadas (nach außen kippen) oder Volcadas (nach innen kippen).
Dieser Tanzstil hat sich in seiner Entwicklung auch wieder dem Salonstil angenähert, sodass mehrere Mischformen entstanden. Gleichzeitig gab es eine Rückbesinnung auf das Wesentliche des Tangos. So ist etwa Tango Líquido ein recht junger Stil, in dem die enge Haltung des Salontangos und die offene des Tango Nuevo fließend (líquido) ineinander übergehen, um sowohl die Nähe des Tango Salon als auch die Dynamik des Tango Nuevo tanzen zu können.
Tango Nuevo wird entweder zu traditioneller Tangomusik oder zu zeitgenössischen Formen bis hin zum Electrotango (Gotan Project, Narcotango, Tanghetto, …) getanzt.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es in der Geschichte des Tangotanzes immer wieder Erneuerungen und eine Weiterentwicklung, aber auch Rückbesinnung und die Erinnerung an das Vergangene gegeben hat. Ich denke dieses Zusammenspiel macht diesen Tanz so reich an Erfahrungen und hilft jedem und jeder den eigenen Tanzstil zu finden.

Andrea

Verwendete Literatur:
TANGO eine heftige Sehnsucht nach Freiheit, Gloria und Rodolfo Dinzel, Verlag Abrazos

2 Kommentare zu „Entstehung und Entwicklung des Tangotanzes Teil 2“

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Cookie Consent mit Real Cookie Banner